„Agenturen im Krieg“
„Haltung statt Marketing“. So lautet das Credo der kostenlosen Mai-Ausgabe des PR Magazins, für die die Redaktion 67 Sprecher*innen von PR-Agenturen zu ihren Erfahrungen mit dem Krieg in der Ukraine befragt hat:
- Wie gehen die Mitarbeitenden mit den Kriegsberichten um?
- Welche Auswirkungen hat der Krieg in der Ukraine auf die Kunden der Agenturen?
- Wie ändert sich die Kommunikationsarbeit der Agenturen in Zeiten den Kriegs?
„Die Texte spiegeln den Alltag mit Kunden und Mitarbeitenden sehr differenziert wieder. Der Nebeneffekt: Nach der Lektüre sollte jeder potenzielle Klient wissen, welche Agentur am besten zu ihm passt.“
Ob dieses hehre Ziel der Redaktion erreicht wird, da bin ich mir nicht so sicher. Auf jeden Fall aber macht das Heft, das kostenlos zum Download bereit steht, klar, dass die Agenturen in der Tat sehr unterschiedlich mit den Schrecken des Kriegs umgehen: einige wenige segeln im Windschatten und nutzen die Katastrophe zu Akquise und Positionierung. Die meisten Kolleginnen und Kollegen aber berichten über Betroffenheit, eigene Hilfeprojekte und mehr oder weniger geglückte Versuche mit der tiefen emotionalen Verunsicherung in ihren Teams umzugehen. PR-Agenturen unterscheiden sich da kaum von Unternehmen aus anderen Branchen. Wir haben Krieg nicht gelernt. Wir beobachten vielleicht das Kriegsgeschrei der Beteiligten ein wenig kritischer und hinterfragen die Propaganda der Kriegsparteien genauer, weil wir die Mechanismen besser kennen (sollten), mit denen Meinung in streitbaren Zeiten gemacht wird.
Mich persönlich erschreckt aber, wie schnell auch wir Kommunikationsexperten von den großen Stimmungsschwankungen erfasst werden, wie schnell wir uns emotionalisieren und damit lenken lassen, in die ein oder andere politische Richtung. Die aktuelle Debatte um Rüstungslieferungen in die Ukraine ist notwendig in einer demokratischen Gesellschaft. Die Art und Weise wie diese Diskussion häufig geführt wird aber ist gefährlich. Befürworter und Gegner von Waffenlieferungen sprechen sich gegenseitig allzu schnell den Friedenswillen ab. Pazifisten werden als ewig gestrige Träumer gebrandmarkt, kritische Unterstützer von Waffenlieferungen als Kriegstreiber verleumdet. Die Diskussion um die offenen Briefe von Alice Schwarzer bzw. Alexander Kluge und Daniel Kehlmann bzw. Eva Menasse sind zumeist kein Ruhmesblatt für einen konstruktiven Diskurs. Das ist schade, aber vielleicht auch verständlich für eine Situation, die uns offensichtlich überfordert.
Der Code of conduct der Agentur
Auch vibrio erreichte der Fragenkatalog das PR Reports und bei vibrio gibt es – wie überall – alle möglichen politischen Positionen. Das ist auch gut so. In meiner Stellungnahme für das PR Magazin habe ich deshalb geschrieben:
„Zu einzelnen politischen Fragen mögen die Mitarbeitenden der Agentur unterschiedliche Positionen haben. Aber es gibt einen verbindlichen schriftlich niedergelegten Code of Conduct, der für die Agentur in ihrem Handeln verbindlich ist. In ihm ist u.a. festgeschrieben: ‚Unternehmen und Personen, die andere Menschen oder Unternehmen aus religiösen oder ethnischen Gründen diskriminieren, die undemokratische Ziele verfolgen oder sich rücksichtslos gegenüber der Umwelt verhalten, können nicht Kunden von vibrio sein.‘ Der russische Angriffskrieg in der Ukraine ist ein Verbrechen und eine Herausforderung für eine offene und faire demokratische Kommunikationsarbeit. Er fordert uns.“
Viele Kolleginnen und Kollegen bei vibrio engagieren sich für die Opfer des Krieges, so wie sie es schon in der Vergangenheit für die Opfer von Terror und Not oder für Asylsuchende getan haben. Da gibt es den Kollegen, der als Feuerwehrmann seit Wochen technische Sondereinsätze für Kriegsflüchtlinge auf ehrenamtlicher Basis leistet. Die Frau eines Kollegen ist im öffentlichen Gesundheitswesen tätig und dort für Erstuntersuchungen der Flüchtlinge zuständig. Weitere Kolleginnen und Kollegen engagieren sich freiwillig in unterschiedlichen Gruppen der Flüchtlingshilfe. Das alles kostet Zeit und Nerven und wirkt sich natürlich auch auf die tägliche Arbeit in der Agentur aus. Und das ist gut so.
Unsere Kunden leiden mehr oder weniger stark unter den Auswirkungen des Kriegs: Hier knirscht es in den Lieferketten, dort ist man verstärkt Cyberattacken ausgesetzt. Das alles aber ist kein Vergleich zum Leid der Menschen in der Ukraine. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Die Kolleginnen und Kollegen bei vibrio sind so betroffen, so hilflos, so helfend wie die meisten Menschen, die ich kenne. Da ist kein Raum für Eigenmarketing. Nur Raum für Empathie, Solidarität und Toleranz.
Über den richtigen Weg zum Frieden gibt es verschiedene Meinungen. Über den Weg zum Krieg gibt es nur eine Meinung: er führt in den Abgrund.
Seit wann sind denn Agenturen „im Krieg“? In Kriegszeiten sind wir, ja. Aber ich wüsste es doch hoffentlich, wenn wir geschossen hätten. Mit dem Argument der Kürze kann sich das PR-Magazin leider nicht entschuldigen, denn ein „zum“ statt das „im“ hätte auch noch in die Zeile gepasst.
Ein kluger Einwurf meiner Kollegin Ruth Bachmann. Zweifelsfrei sind die Agenturen nicht „im“ Krieg, sondern sie äußern sich „zum“ Krieg. Es hat schon seinen Grund, wenn ich in kniffligen Fragen der Textkritik mich stets zuerst zumeist an sie wende. Andererseits: hat nicht erst vor vier Tagen Max Biederbeck-Ketterer in der Wirtschaftswoche sehr treffsicher getitelt „Deutschland ist längst im Krieg – die Regierung muss mit dieser Gewissheit planen“? Haben die Kolleg*innen des PR Magazins dieses Gefühl, dass wir uns längst im Krieg befinden, vielleicht gerade in ihre Formulierung – vielleicht sogar kaum bewusst – einfließen lassen? Im Kommentar von Ruth Bachmann wird genau der wunde Punkt der Debatte ausgedrückt: die feine Trennung zwischen der Lieferung von Waffen und dem Abdrücken – das ist der Kern des gesellschaftlichen Diskurses. Damit will ich die Korrektur meiner Kollegin nicht korrigieren. Aber die Komplexheit der politischen Debatte ist nicht minder monströs als die der Sprache.
Danke @Ruth für den Einwand. Der Titel ist reißerisch, die Worte „im Krieg“ in den größten Lettern weiß auf schwarzem Hintergrund, lösen die gewünschten Emotionen aus. Da ist schon eine gewisse „Bildisierung“ der Vater des Gedanken gewesen, das lässt sich kaum wegdiskutieren. Ich hätte mir da auch mehr die sympathischen und populären blau-gelben Farben der Ukraine gewünscht. Und eine etwas pazifistischere Betitelung… Aber warum sollte die Verlockung der Klicks und Downloadzahlen ausgerechnet vor dem PR-Magazin Halt machen.
So kompliziert ist das alles nicht. Wir müssten nur „Gefühl“ und „Fakt“ auseinanderhalten. Was rund um diesen Krieg alles gefühlt wird, ist so kunterbunt wie Kasperles Kleider. Hatten wir schon bei Corona. Halten wir uns jedoch an Definitionen und eineindeutige Sprache, fegt klare Luft den Nebel weg. So kann zum Beispiel Millionen Mal gesagt werden, „Deutschland ist im Krieg“, so trifft es dennoch nicht zu. Es stimmt einfach nicht. Dass es sich so anfühlen mag, das ist wieder eine andere Sache und deshalb erwarte ich von meinungsbildenden Journalisten, dass sie genau diesen feinen, aber unglaublich wichtigen Unterschied in Sprache gießen können, also: „Es fühlt sich an, als wäre Deutschland im Krieg.“ Die Umdeutung von Wörtern sollte einzig das Instrument von jenen Menschen sein, die ohne die Verdrehung der Sprache in der Realität scheitern würden.
Ich habe MEINE Überschrift nun in Anführungszeichen gesetzt um beide Interpretationen zu ermöglichen. Tatsächlich halte ich die feine Diskussion über den Kriegsstatus nicht für final entschieden. Immerhin wissen wir ja, dass die CIA der Ukraine konkrete Ziele für Vergeltungsschläge vorgibt. Die Tötung russischer Generäle wäre ohne amerikanische Aufklärungsarbeit nicht möglich gewesen. Diese Aufklärung erfolgt vermutlich zu einem nicht geringen Teil von deutschem Boden – Ramstein! – aus. Wie aber formuliert Markus Krajewski, Generalsekretär der deutschen Sektion der International Law Association: „Wenn deutsche Soldaten in die Ukraine reisen und dort den Soldaten helfen würden, ihre Ziele zu beschießen, dann würden sie damit an Kampfhandlungen teilnehmen“. Tatsache ist, dass man zum Töten schon lange nicht mehr reisen muss. Was aber ist, wenn dies Nato-Soldaten vom deutschen Boden aus tun?
Aber dies alles ist eine juristische Debatte. Kriege wurden noch nie von Juristen ausgelöst oder erweitert. Putin, der Aggressor, befragt keine Juristen. Insofern ist in Kriegs- und Vorkriegszeiten die Emotion oft wichtiger, als das Recht. Und deshalb kommt der Sprache eine so große Bedeutung zu. Und nun sind wir auch alle wieder beisammen: es ist von großer Bedeutung, wie wir sprachlich mit dem Krieg umgehen. Ja, es fühlt sich immer mehr so an, als wäre Deutschland im Krieg. Und ich habe Angst davor, dass wir uns uns daran gewöhnen zu sagen „Wir sind im Krieg“.