Alles so schön bunt hier – Bericht von der Photokina
Wenn viele Chinesen auf einem Haufen stehen und sich gegenseitig photographieren, dann ist Photokina! Natürlich sind die meisten Chinesen Japaner, aber pixelmässig macht das für uns Langnasen ja eigentlich keinen Unterschied. Canon, Nikon, Sony, Olympus – die Kölner Messe ist eine Messe, auf der die Japaner traditionell seit vielen Jahren das Sagen haben. Jedenfalls galt das bis 2007. Denn zwei Trends sind in diesem Jahr auszumachen:
Wenig überraschend: die Amerikaner sind zurück! Und zwar in Form eines gar nicht so kleinen Microsoft-Standes. Gezeigt wurde vor allen Dingen Microsoft Silverlight, der Anti-Flash. Und das ausgerechnet direkt gegenüber von Adobe. Dass man mit Silverlight und den Bildbearbeitungs-Tools bei Microsoft noch kein Geld verdient, merkt man daran, dass auf dem Stand nur amerikanisch gesprochen wird. Sobald man bei Microsoft Geld verdienen kann, übernehmen ja die regionalen Niederlassungen die Vermarktung. Für die Zukunftsvisionen sind die Kollegen aus Redmond zuständig. Und der Photokina-Stand der Microsofties war komplett in der Hand der Redmondianer.
Deutlich überraschender ist der zweite Trend: die Deutschen sind zurück!
Es gibt ja nicht viele Überlebende aus der einst mächtigen deutschen Photoindustrie. Und ausgerechnet ein Halbtoter meldete sich unmittelbar vor der diesjährigen Photokina zurück: Leica, die Marke mit dem roten Punkt! Lange haben die Solmser so ziemlich jeden Zug verpasst, der durch die Branche rauschte: Ob Autofokus oder Digitaltechnik: entweder beherrschte man die Technologie und fand sie überflüssig (Autofokus) oder man unterschätzte zu lange das Technologiepotential (Digitalfotografie). Unter dem letzten Geschäftsführer blieb der alten Tante Leica dann (scheinbar) nichts anderes übrig, als sich zum Hochpreisetikettenkeber zu entwickeln: man pickte sich im Massenmarkt die besten Produkte von Panasonic heraus, klebte ein eigenes Logo drauf und vermarktete die umgelabelte Kamera als Leica. Lange kann das nicht gut gehen – auch wenn noch immer jede Menge technologische Kompetenz im Hause vorhanden ist: in der Objektivrechnung und -herstellung. Aber als reiner Optik-Spezialist kann man sein Image in der modernen Bilderindustrie heute nicht halten. Die Photoindustrie ist heute keine optische Industrie mehr, sondern Teil der Elektronikbranche.
Und was geschieht auf der weltgrößten Photo-Messe? Leica stellt ein völlig neues Kamerasystem vor: die neue S2, eine Kamera mit dem Innenleben einer professionellen Mittelformatkamera im Gehäuse einer modernen Kleinbildspiegelreflex. Und das beste: die Elektronik wird bei Leica entwickelt und gebaut. Natürlich mit Unterstützung etablierter Unternehmen (von Fujitsu beim Prozessor, von Kodak beim Chip, von Phase One bei der Software).
Auf der Photokina kann man sie hinter Glas in einer Vitrine bewundern. Oder hinten im Gästecafé auch mal in die Hand nehmen. Dort wird sie von freundlichen Leica-Menschen ehrfürchtig und vorsichtig an den Tisch gebracht und liebevoll noch bei ihrem Kose- und Entwicklungsnamen genannt: AFRika (Auto-Fokus-Reflex-Integrierte-Kamera“. In den Laden wird sie nicht vor Sommer 2009 kommen. Der Preis? Für’s Geld bekommt man heute auch schon ein Auto. Aber erstmal wird man bei Leica daran gehen ein vernünftiges PArtner- und Service-Netz zu etablieren. Denn die S2 ist ein Profi-Werkzeug. Und aus diesem Markt hat sich Leica eigentlich in den vergangenen Jahren schon verabschiedet.
Aber das ist nicht alles. Leica sichert auch für das M-System mit einer neuen Vermarktungsstrategie eine hoffentlich goldene Zukunft: auch meine geliebte Leica M erhält ein neues Familienmitglied. Mit der M 8.2 stellt Leica eine Variante vor, deren wirklicher Wert heute von der Community gar nicht geschätzt wird. Die Traditionalisten unter den ambitionierten Amateuren – die klassischen M-User – diskutieren noch, ob das kratzfeste Display-Glas und der leisere Verschluss den hohen Mehrpreis gegenüber der M8 Wert sind. Dabei ist das gar nicht wirklich wichtig. Wichtig ist eine Funktion, die diese Gralshüter der Messsucherphotographie niemals nutzen werden: die Dummchen-Funktion!
Mit der Dummchen-Funktion können jetzt auch Menschen mit viel Geld und wenig Ahnung von Photographie endlich die Leica M bedienen. Sie wählen auf dem Einstellrad die Einstellung „S“ (für Schnappschuss) und die Kamera verhält sich wie jede Ready-Shot-Kiste aus dem Kaufhaus: einfach draufdrücken und die Kamera entscheidet selbstständig, welche Kombination aus Verschlusszeit, ISO-Einstellung und Weißabgleich der Situation gerecht wird – oder auch nicht. Jedenfalls kommt immer ein Bild raus. Wenn ich meine M8 oder erst recht die gute alte M6 einem Freund in die Hand drücke, ist das noch lange nicht garantiert! Damit aber wird die M8 endlich zum Luxusteilchen, wie eine Uhr von Cartier oder ein Fernsehgerät von Bang & Olufsen. Die Traditionalisten, die heute die Nachfrage nach der M8 bestimmen, sterben irgendwann aus. Und nur für ihre Vitrinen kann man auf Dauer ein mechanisches Wunderwerk wie eine M-Kamera nicht weiterentwickeln.
Die Queen fotografiert schon mit einer M8. Warum also nicht auch die Schönen und anderen Reichen dieser Welt? Mit der M 8.2 adressiert Leica ein zahlungskräftiges Publikum, dass Photographieren als schick empfindet, sich mit Blende und Verschlusszeit aber eher nicht auseinandersetzen möchte. Sie finden jetzt bei Leica eine Kamera, die einfach funktioniert, fast immer gute Bilder macht, extrem wertig in der Hand liegt und mit ihrem Preis und ihrer handwerklichen Qualität und Langlebigkeit jenes Gefühl der Exklusivität verspricht, dass man von seinem Jaguar, selbst wenn er inzwischen den Indern gehört, gewohnt ist. So ist’s richtig!
Kurz: Leica hat nicht nur mit der S2 seine Technologiekompetenz zurückgewonnen, sondern offensichtlich unter dem neuen Geschäftsführer und Eigentümer Dr. Kaufmann sich endlich auch Marketingkompetenz angeeignet. Dieses Mal könnte es was werden mit der Wiederauferstehung der Marke. Kann sein, dass der Phönix der Branche einen roten Punkt auf der Stirn trägt.
Das Beste aber: die Solmser verfügen über den sympathischten Pressesprecher der ganzen Branche. Glücklich ist ein Journalist, der sich von Ralph Hagenauer anstecken lässt von dessen ehrlicher Begeisterung für die Produkte des Hauses und für eine noch immer faszinierende Marke; und der nicht nur weiß, wie diese Marke zu positionieren ist, wie seine Produkte zu verargumentieren sind, sondern der auch noch das kleinste Schräubchen des Messsuchers anschaulich beschreiben kann. Das kann ich natürlich so unvoreingenommen nur schreiben, weil er NICHT mein Kunde ist 😉
Was gibt es noch zu sehen auf der Kölner Bilderschau? Jede Menge neue Kameras von Canon, Nikon und Sony. Kameras, mit noch mehr Pixel, mit noch mehr Funktionen, mit noch mehr Automatiken. Kameras, die Gesichter erkennen und darauf scharfstellen (aber wer erkennt die Gesichter, die man lieber nicht im Fokus sehen möchte?), die automatisch auslösen, wenn sie ein Lächeln im Visier haben. Man stelle sich die Konfrontation einer solchen Kamera mit Florian Silbereisen vor: die Kamera löst aus, wenn ER lächelt; er lächelt, sobald er eine Kamera sieht. Tautolos der Gott des Zirkels wird beide nicht mehr aus seinen Klauen lassen …
Aber das ist alles gar nicht so wichtig. Denn vor allen Dingen gibt es in Köln Bilder zu sehen. Photographien der ganz Großen (Thomas Hoepke) und der ganz Jungen aus den zahlreichen vertretenen Foto-Studiogängen aus Deutschland und Europa. Eine überraschende Erfahrung für mich: die Arbeiten aus dem tschechischen Opava. Ganz großes Kino!
Kurz: Köln ist während der Photokina jede Anreise wert. Sogar aus Düsseldorf sollen Besucher gesichtet worden sein …
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