Barrierefreiheit im Netz

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Blindenschrift in Großaufnahme

Barrierefreiheit steht für Diversität und Inklusion. In einem früheren Blogbeitrag hat mein Kollege Markus Pflugbeil bereits erläutert, wie wichtig Barrierefreiheit für Unternehmen ist. Und jetzt kommt’s: Ab Juni 2025 wird Barrierefreiheit für viele Unternehmen zur Pflicht.

Bisher waren nur öffentliche Einrichtungen im europäischen Raum zur digitalen Barrierefreiheit verpflichtet. Zukünftig müssen jedoch auch viele privatwirtschaftliche Unternehmen und Dienstleister gemäß dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) ihre Produkte und Dienstleistungen barrierefrei gestalten.

Konkretisierung tut not

Bei oberflächlichem Lesen des Gesetzes könnte man denken, dass nur neue Produkte und Dienstleistungen betroffen sind, die erst ab 28. Juni 2025 in den Verkehr gebracht werden. Mir erging es genauso. Auch auf vielen Webseiten von Organisationen wie der Münchner IHK oder der Bundesfachstelle Barrierefreiheit wird das BFSG beschrieben und erklärt, welche Maßnahmen getroffen werden müssen und wie das neue Gesetz kontrolliert wird. Aber richtig deutlich wird die folgende Frage nicht beantwortet: Betrifft das Gesetz wirklich nur neue Produkte und Dienstleistungen oder gilt es auch für bereits vorhandene?

Stiftung Pfennigparade kennt sich aus

Ich habe deshalb mit Susanne Baumer gesprochen. Sie leitet bei der Münchner Stiftung „Pfennigparade“ die Abteilung Medienservice. Die Stiftung möchte einen Raum schaffen, in dem Menschen mit und ohne Behinderung unkompliziert in allen Lebensbereichen zusammenleben können und sich gegenseitig inspirieren. Dabei ermöglichen sie Menschen mit Behinderung ein selbstbestimmtes und erfülltes Leben zu führen. Die Stiftung gestaltet dafür aktiv in Bildung, Arbeit, Wohnen, Gesundheit und Freizeit inklusive Lebensräume.

Seit nun fast sechs Jahren beschäftigt sich Susanne Baumer mit beeinträchtigten Menschen und auf welche Hürden sie in ihrem Alltag stoßen. Sie ist Expertin auf dem Gebiet und bietet ihren Kunden Beratung und Umsetzung für barrierefreie Webseiten und passgenauen Online-Content an.

Wie sieht es mit den Dienstleistungen aus?

Bei den Produkten regelt das BFSG klar, welche betroffen sind. Bei Dienstleistungen sieht das ein wenig anders aus. Das BFSG besagt, dass Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr barrierefrei sein müssen. Aber was genau bedeutet das?

Susanne Baumer erklärt: „Das betrifft vor allem Unternehmen, die E-Commerce-Webseiten betreiben und bei denen online ein Kaufvertrag abgeschlossen werden kann. Deshalb müssen zum Beispiel Shop-Betreiber auch bereits bestehende Webseiten, wenn sie nach dem Stichtag weiterhin online sind, barrierefrei gestalten.“

Das Gleiche gilt für Online-Ticketsysteme oder Veranstaltungsportale. Immer dann also, wenn zwischen User und Anbieter ein Vertrag zustande kommen kann.

Die Website von vibrio ist zum Beispiel nach aktuellem Rechtsstand nicht betroffen, da der Webauftritt eher wie eine digitale Broschüre gestaltet ist. Die Inhalte könnte man rein theoretisch auch ausdrucken, verschicken oder persönlich übergeben. Ein Dienstleistungsvertrag wird über die vibrio-Webseiten also nicht abgeschlossen. Somit wird deutlich, dass die BFSG-Formulierung „Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr“ noch weiter konkretisiert werden müsste, um für alle klar und verständlich zu sein. Das bestätigt auch Susanne Baumer: „In der Regel werden neue Gesetze durch die Rechtsprechung konkretisiert und ausgelegt.

Die vermeintlichen Besonderheiten barrierefreier Webseiten

Ich habe Susanne Baumer gefragt, worin die Besonderheiten von barrierefreien Webseiten liegen. Ihre Antwort war überraschend: „Der Witz ist, dass es gar nichts Besonderes gibt. Programmierer, die sich mit HTML-Formaten einer Webseite auskennen und HTML und die zugehörigen Standards so einsetzen wie beschrieben, werden nicht überrascht sein über die neuen Umsetzungsmaßnahmen des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes. Die ‚Web Content Accessibility Guidelines‘ (WCAG) sind nämlich bereits seit Jahrzehnten ein internationaler Standard zur barrierefreien Gestaltung von Internetangeboten und auf diesen basiert die europäische Norm EN 301 549.“

Auch für Redakteure ist die barrierefreie Gestaltung des Contents kein Hexenwerk. Zum Beispiel werden Probleme für den Screenreader vermieden, wenn Überschriften nicht nur fett gemacht, sondern wie in HTML vorgesehen als H1, H2 etc. formatiert werden. Wird diese Formatierung nicht vorgenommen, können sich Menschen mit Sehbehinderungen auf der Seite nur schlecht orientieren und können die Seite nur erschwert nutzen.

Einfache Tipps für barrierefreie Web-Inhalte

Seinen Web-Content barrierefrei zu gestalten, ist mit ein paar Tipps und wenigen Schritten umgesetzt. Dadurch wird vielen Menschen zum Beispiel das Lesen der Webseite mit einem Screenreader erleichtert. Dabei muss Programmierung und Redaktion Hand in Hand gehen und die Barrierefreiheit von Anfang an mitgedacht werden, so die Empfehlung von Susanne Baumer.

Eine erfahrene Redakteurin oder Redakteur beherrscht die textlichen Grundlagen eines guten Blogbeitrags. Berücksichtigt sie oder er aber bereits beim Texten folgende Regeln, macht das einen großen Unterschied und führt zur Barrierefreiheit:

  1. Alt-Text bei Fotos und Grafiken richtig hinterlegen: Es muss beschrieben werden, was das Foto abbildet. Bei Bildern von Logos muss in den Alt-Text „Logo. Name der Firma.“ Somit wissen die Leserin und der Leser, auf welcher Firmen-Webseite sie sich befinden. Wird der Alt-Text nicht oder nicht richtig ausgefüllt, liest der Screenreader beispielsweise „Leer“ vor.
  2. Kontraste schaffen: Text und Hintergrund müssen kontrastreich sein. Das erleichtert Menschen mit Sehschwäche das Lesen einer Webseite, da sich der Text gut lesbar von seinem Hintergrund abhebt. Eine graue Schrift auf weißem Grund mag zwar schick aussehen, lesefreundlich ist es aber nicht.
  3. Im Text richtig arbeiten: Das gilt beispielsweise für Überschriften, die nicht einfach fett gemacht werden sollten, sondern richtig als H1, H2, usw. ausgezeichnet werden müssen. Listen sollten nicht durch Spiegelstriche angegeben werden, sondern als Liste formatiert werden. Gleiches gilt für Aufzählungen, bei denen nicht von Hand das 1., 2., 3. vorangestellt wird. Zeilenumbrüche und Abstand-Elemente sorgen für eine bessere Lesbarkeit.
  4. Links richtig hinterlegen: Verlinkungen auf andere Beiträge oder Dokumente sollten vorlesbar sein und das Link-Ziel oder den Zweck angeben. Hilfreich sind hier Sätze wie „Unter dem folgenden Link sind Informationen xy hinterlegt.“ So wissen auch Personen, die mit einem Screenreader die Seite lesen, wohin der Link führt. PDF-Dateien müssen dann natürlich ebenfalls barrierefrei gestaltet sein.
  5. Richtige sensorische Beschreibungen einbauen: Der Hinweis, wo sich beispielsweise eine wichtige Information, ein Bild oder der Download-Link zu einem Dokument befindet, sollte für den Leser beschrieben werden. Die Begriffe oben, unten, links und rechts sind die falschen Begriffe. Besser ist es „vor oder nach dem Bild“ oder „am Anfang/Ende der Seite“ zu schreiben.
  6. Sprachen kennzeichnen: Verwendet man Begriffe oder zitiert man beispielsweise in englischer Sprache, ist es sehr hilfreich, diese auch in HTML der englischen Sprache zuzuordnen, damit ein Screenreader die Begriffe oder das Zitat in Englisch vorliest.
  7. Videos untertiteln und Audiodateien transkribieren: Um Menschen mit eingeschränkter Hörfähigkeit bei der Rezeption zu unterstützen, sollten Videos grundsätzlich untertitelt und Audiodateien mit einer Verschriftlichung des Gesprochenen geliefert werden.

Zum Abschluss bringt es Susanne Baumer auf diesen Punkt: „All diese Tipps sind keine Geheimnisse und auch nicht wirklich neu. Barrierefreiheit ist also keine Zauberei. Man muss es nur konsequent umsetzen.“

Ein wichtiger Hinweis für Unternehmen, die Produkte oder Dienstleistungen über externe Shop-Betreiber wie Shopify anbieten: Fragen Sie diese Betreiber, ob sie bis zum nächsten Jahr barrierefrei werden und Möglichkeiten bieten, um beispielsweise Überschriften korrekt zu formatieren.

Machen Sie sich ein Bild

Menschen ohne Beeinträchtigungen können selten all die Schwierigkeiten kennen, auf die Menschen mit Handikap im realen Leben und online treffen. Deshalb bietet Susanne Baumer ihre Hilfe an. Sie erklärte mir, dass sie im Test.Labor Barrierefreiheit des Pfennigparade ChancenWerks alles zur Verfügung stellt, was man für barrierefreie Webseiten braucht: von der Beratung über Schulungen bis hin zum Testen der Webseiten auf Barrierefreiheit. Aber auch die Umsetzung wird von der Pfennigparade angeboten. Das kann beispielsweise die Konzeption, das Design oder die Programmierung einer individuellen barrierefreien Webseite sein. Auch Audiodeskriptionen oder Videountertitel übernehmen Mitarbeitende des Testlabors.

Im Test.Labor Barrierefreiheit arbeiten Menschen mit Körperbehinderung. Sie übernehmen Aufgaben, die auf sie zugeschnitten sind. Für Kunden bietet das den klaren Vorteil, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Pfennigparade genau wissen, worauf es ankommt und sie die geforderten Maßnahmen des BFSG authentisch umsetzen können. Jedoch ist zu beachten, dass Websites und Online-Shops nicht über Nacht barrierefrei werden. Deshalb ergibt es Sinn, sich bereits jetzt mit den Vorgaben des Gesetzes auseinanderzusetzen und eine barrierefreie Webseite aufzubauen. Sollten Sie sich für die Pfennigparade entscheiden, erhalten Sie kompetente und authentische Unterstützung.

Einen Kontakt zum Medienservice der Pfennigparade und Susanne Baumer finden Sie auf der Website der Pfennigparade.

Barrierefreiheit – das Wichtigste in Kürze:

Nachfolgend erhalten Sie eine Übersicht.

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz

Geregelt wird die Verpflichtung für privatwirtschaftliche Akteure durch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (kurz BFSG), das im Juli 2021 in nationales Recht überführt wurde. Durch die digitale Barrierefreiheit sollen Menschen mit Beeinträchtigung, ältere Personen und Menschen mit wenig Erfahrung im Umgang mit digitalen Medien einen leichten Online-Zugang erhalten.

Ab dem 28. Juni 2025 tritt das Barrierefreiheitsgesetz in Kraft. Es besagt, dass ab diesem Tag in den Verkehr gebrachte Produkte sowie für Verbraucher erbrachte Dienstleistungen barrierefrei sein müssen.

Ab wann?

Produkte und Dienstleistungen ab dem 28.06.25. Alle Webseiten, über die bereits heute Verträge abgeschlossen werden, müssen ebenfalls ab dem Stichtag barrierefrei sein.

Wen betrifft das BFSG?

Das BFSG gilt für öffentliche Einrichtungen und private Wirtschaftsakteure sowie Verbände und Vereine, die Produkte und/oder Dienstleistungen online anbieten. Das umfasst also Hersteller, Importeure sowie Händler.

Das Informations-Technik Zentrum des Bundes hat eine Liste der Produkte sowie Dienstleistungen erstellt, die betroffen sind.

Produkte sind unter anderem Hardware sowie Betriebssysteme für Universalrechner, E-Book-Lesegeräte oder Verbraucherendgeräte mit interaktivem Leistungsumfang, die für Telekommunikationsdienste oder für den Zugang zu audiovisuellen Mediendiensten verwendet werden.

Zu den Dienstleistungen zählen unter anderem Telekommunikationsdienste, E-Books und hierfür bestimmte Software sowie Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr. Bei letzteren Dienstleistungen handelt es sich laut den Leitlinien der Bundesfachstelle Barrierefreiheit „um Dienstleistungen der Telemedien, die über Webseiten und auf Mobilgeräten angebotene Dienstleistungen elektronisch und auf individuelle Anfrage eines Verbrauchers im Hinblick auf den Abschluss eines Verbrauchervertrags erbracht werden.

Ausnahmen:

Nicht unter das BFSG fallen Kleinstunternehmen, die betroffene Produkte herstellen und

  • weniger als 10 Personen beschäftigen
  • und entweder einen Jahresumsatz von höchstens 2 Millionen Euro oder eine Jahresbilanzsumme von nicht mehr als 2 Millionen Euro haben.

Regelungen für Selbstbedienungsterminals (Zahlungsterminals, Geldautomaten, Fahrausweisautomaten, Check-in-Automaten, Selbstbedienungsterminals zur Bereitstellung von Informationen) gelten erst ab 2040.

Was muss beachtet werden?

Die betreffenden Waren und Dienstleistungen müssen ohne besondere Schwierigkeiten und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sein. Anforderungen, die erfüllt werden müssen, finden sich im Wortlaut der BFSGV-Rechtsverordnung und den Leitlinien zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz.
Außerdem gelten für die Wirtschaftsakteure diverse Prüf-, Nachweis- und Mitteilungspflichten.

Sanktionen bei Verstoß

Bei Nichteinhaltung drohen Einschränkungen oder Untersagungen durch die Marktüberwachungsbehörden, was dazu führen kann, dass Produkte zurückgenommen oder zurückgerufen werden. Das betrifft nicht nur den Hersteller, sondern auch Händler und Importeure. Auch Bußgelder in Höhe von bis zu 100.000 Euro können verhängt werden.

Beratungsstellen

Folgende Einrichtungen bieten eine Beratung an:

Die Bundesfachstelle Barrierefreiheit veröffentlicht laufend aktuelle Informationen zum Beispiel eine Liste der Standards, die zu beachten sind und zu den Anforderungen, die umgesetzt werden sollten. Hier finden Interessierte auch ein umfassendes FAQ zum Gesetz und Webinare als Video. Einen Link zur Webseite finden Sie hier.

Nützlich ist auch die Webseite der Bayrischen Staatsregierung die einen umfassenden Überblick über das Gestalten von Barrierefreien Webseiten bietet. Sie ist hier verlinkt.

Die Beratungsstelle Barrierefreiheit in Bayern ist Anlaufstelle zu allen Fragen rund um barrierefreies Webdesign. Ein Link zur Webseite ist hier zu finden.

Und auch die IHK München bietet Hilfe bei Fragen. Informationen finden Sie unter diesem Link.

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