Branchenblick Automotive 2020: Social Media in der Automobilzulieferindustrie
Wo steht die Automobilzulieferindustrie bei der Social-Media-Nutzung im Jahr 2020? Alle reden von Krise, alle reden von der zentralen Herausforderung für Deutschlands Leitindustrie durch Tesla, durch die E-Mobilität, durch China und überhaupt durch das Ende des Individualverkehrs. Die junge Social-Media-Generation definiert sich nicht mehr über PS und schnelle große Wagen, sondern über Fahrradwege, Bahn-App und Car-Sharing.
Vor sechs Jahren habe ich hier auf diesem Blog in einem ersten Branchenblick die damals zehn größten deutschen Automobilzulieferer im Hinblick auf den Reifegrad ihrer Online- und Social-Media-Auftritte untersucht. Die Bilanz war bitter. Ich schrieb damals:
„Die führenden Unternehmen unter den Automobilzulieferern …
- wissen, dass es Social Media gibt
- nutzen Social Media in den USA intensiver als in Deutschland
- verfolgen nur selten eine klare Social-Media-Strategie
- und schöpfen deshalb die Potentiale der sozialen Medien für den wichtiger werdenden Markenaufbau und das schwieriger werdende Recruiting nicht voll aus.“
Es ist an der Zeit, sich die Branche wenige Monate vor der ersten IAA in München neu anzusehen. Dieses Mal habe ich die Sicht ein wenig ausgeweitet und neben den Branchengrößen auch einige kleinere Unternehmen dem Branchenblick unterworfen.
Das sind die wichtigsten Ergebnisse zum Social-Media-Marketing der deutschen Automobilzulieferer 2020:
Es gibt einen neuen Stern am Marketing-Himmel der deutschen Automobilzulieferer, einen Stern, der heller strahlt, als alle anderen: Hella! Das Familienunternehmen aus Lippstadt war vor sechs Jahren noch gar nicht dabei. Heute gehört es zu den zehn größten der Branche, sowohl nach der Anzahl der Mitarbeiter (danach listen wir im Folgenden) als auch nach Umsatz (vgl. Handelsblatt). Und in den meisten unserer Listings schneidet Hella hervorragend ab:
Die Sichtbarkeit der Website haben wir mit dem Sistrix Sichtbarkeits-Index gemessen. Sie ist ein ungefährer Maßstab für die Breitenwirkung des Internet-Auftritts. Der blaue Balken zeigt diesen Wert an, der rote Balken im Folgenden immer – soweit nicht anders vermerkt – die Anzahl der weltweiten Mitarbeiter. Insgesamt zeigt sich, dass zumindest die großen Unternehmen im Vergleich zum Stand von vor sechs Jahren heute ihren Internet-Auftritt professioneller managen und in Suchmaschinenoptimierung investieren. Das war 2014, abgesehen von Bosch, noch kaum der Fall.
Das zeigt sich auch im Storytelling. Vor sechs Jahren konnte nur einer unter den zehn größten Automobilzulieferern mehr als 1.000 Top-10-Google-Keywords (gemessen mit Sistrix) vorweisen, heute sind es immerhin acht:
Und auch von den kleineren Zulieferunternehmen zeigen sich Sonnen und Mennekes als besonders dynamisch: Beide Unternehmen sind als Start-ups im Umweltbereich aktiv und zeigen der Branche wie es geht. Alteingesessene Automobilzulieferer wie Knorr-Bremse, Brose und Dräxlmaier könnten – und müssten – von ihnen viel lernen.
In Sachen Vernetzung ihrer Seiten können sie freilich mit den großen Platzhirschen noch nicht mithalten. Da kann man nicht so schnell aufholen:
Im B2C-Social-Media-Marketing ist Instagram auf dem Vormarsch
Betrachten wir die Social-Media-Auftritte, so hat sich in den letzten sechs Jahren viel getan. Natürlich sind die Facebook-Accounts massiv gewachsen. Im Durchschnitt lag die Größe der Facebook-Accounts der zehn größten Automobilzulieferer Deutschlands vor sechs Jahren noch bei 70.000 Abonnenten. Heute liegt dieser Wert bei knapp 250.000.
Und inzwischen sind die meisten Auftritte sogar deutschsprachig. Auch hier tut sich Hella mit einem sehr professionell gemachten und entsprechend erfolgreichem deutschsprachigem Kanal hervor. Bosch profitiert natürlich von einem Markenauftritt, der weit über Automotive hinausgeht und der auch die Anhänger von Bohrmaschinen erreicht. Übrigens: Bei Unternehmen, die mehrere Accounts unterhalten, haben wir immer den Kanal ausgewertet, der von der Website aus verlinkt wird. Mit einem Einbahnstraßenschild markiert haben wir Kanäle, die von der Homepage aus nicht erreicht werden können. Ein altes und leider noch immer nicht ausgestorbenes Malheur: Unternehmen wie Knorr-Bremse und die Prettl Group investieren zwar in einen Facebook-Kanal, verschweigen aber dessen Existenz schamhaft auf der eigenen Homepage. So kann man nicht erfolgreich kommunizieren. Das ist Blindenfernsehen vom Feinsten …
Vor sechs Jahren noch gar nicht hatten wir Instagram auf dem Radar:
Hier sehen wir die digitalen Vorreiter Mennekes und Sonnen wieder recht aktiv, ergänzt um Ionity, die E-Lade-Tochter von Mercedes, BMW, Ford und VW. Der Überraschungssieger aber heißt hier Mahle, das sich über Instagram ganz stark in der Motorsport-Community positioniert hat. Respekt!
Im B2B-Social-Media-Marketing hat LinkedIn aufgeholt
Vor sechs Jahren hatten die zehn größten deutschen Automobilzulieferer in Deutschland gerade mal im Schnitt 56.000 Follower auf LinkedIn. Heute sind es mehr als 300.000. Auch publizieren immerhin vier von ihnen auf ihren LinkedIn-Kanälen regelmäßig Informationen nicht nur in englischer Sprache, sondern mehrsprachig. Sie haben gelernt, dass LinkedIn mehr ist, als das XING für Amerikaner. Gut so! Das Europa-Fähnchen markiert einen mehrsprachigen Auftritt:
Betrachtet man alle hier untersuchten 24 Unternehmen, so erreichen die Unternehmen, die über einen LinkedIn-Kanal verfügen im Schnitt über diesen Kanal 140.924 Abonnenten. Über XING erreichen sie im Schnitt nur 7.610:
Auch in dieser Branche gilt: XING verliert dramatisch an Relevanz, jedenfalls als Kommunikationskanal.
Influencer-Marketing? Die Branche lernt es nie
Was aber ist mit Twitter? Vor sechs Jahren schrieb ich zur Twitter-Nutzung der großen Automobilzulieferer:
„Auch Twitter wird, abgesehen von Bosch und Faurecia, bislang ausschließlich englischsprachig genutzt. Die Accounts von Bosch, aber auch von Michelin und Johnson Controls weisen durchaus relevante Follower-Zahlen aus. … Sieht man sich aber die qualitative Struktur der Follower einmal genauer an, so muss man feststellen, dass abgesehen von Bosch kein einziges Unternehmen über eine nennenswerte Anzahl wertvoller deutschsprachiger Meinungsführer unter seinen Followern vorweisen kann. Ein gezielter qualitätsorientierter Aufbau einer Twitter Community findet nicht statt.“
Abgesehen davon, dass sich einige der genannten Unternehmen gar nicht mehr unter den Top 10 befinden, hat sich so viel nicht geändert:
Es gibt inzwischen einige deutschsprachige und mehrsprachige (Europaflagge!) Accounts. Die Anzahl der Influencer (orange) unter den Followern (blau) ist aber denkbar gering. Bosch zum Beispiel hat heute 254.000 Follower, konnte aber die Anzahl der „Influencer für Deutschland“ unter ihnen in den letzten sechs Jahren gerade mal von 54 auf 146 erhöhen. „Influencer für Deutschland“ sind Twitterati, die über eine bestimmte Follower-Anzahl verfügen, die regelmäßig twittern, die auf deutsch twittern, und die einige weitere Kriterien erfüllen müssen.
Bei diesen Influencern handelt es sich um Journalisten, aber auch um wichtige Meinungsmacher aus Verbänden, aus Unternehmen oder aus sozialen Medien. Wer Twitter als B2B-Kanal versteht, der muss sein Hauptaugenmerk darauf lenken, diese Influencer zu erreichen. Influencer-Marketing aber wird in den Unternehmen heute kaum oder gar nicht betrieben. Eine sträfliche Unterlassung. Auch schneiden Start-Ups wie Mennekes, Sonnen, Akasol und Ionity relativ gut ab – allerdings auf sehr niedrigem Niveau.
Was bleibt also sechs Jahre nach dem ersten Branchenblick Automotive festzuhalten? Es hat sich manches verbessert im Social-Media-Marketing der deutschen Automobilzulieferer, aber es gibt noch viel zu tun:
- Das Influencer Marketing im Bereich Twitter ist dürftig bis nicht existent.
- Alteingesessene Mittelständler wie Knorr-Bremse und Dräxlmeier drohen abgehängt zu werden von agilen Newcomern wie Sonnen und Mennekes.
- Hella erweist sich in vielen Bereichen (nicht in allen) als Musterknabe.
Bis zur Münchner IAA haben die Automobilzulieferer in Online- und Social-Media-Marketing noch einige Hausaufgaben zu erledigen.
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Titelillustration: Makulov at stock.adobe.com
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