Buten un binnen – Wo statt U-Boote Volkswagen über den Atlantik geschickt wurden
„Moin“
„Moin“
„Wo soll’s denn hingehen, junger Mann (sic!)“
„Kap Horn Straße“
„Und wohin da?“
„Firma Leschaco“
„Kenn ich nich“
„U-Boot-Bunker“
„Ach, zum U-Boot-Bunker. Warum sagen Sie das nicht gleich.“
Diesen Dialog habe ich mit mehr als einem bremischen Taxifahrer geführt. Dabei ist Leschaco, bzw. die Lexzau, Scharbau GmbH & Co KG, wie der lange Name des Unternehmens lautet, mit mehr als 2.500 Mitarbeiter*innen einer der 25 größten Arbeitgeber der Freien Hansestadt Bremen, weit vor der bekannten Brauerei Beck oder dem KfZ-Zulieferer Hella. Aber Leschaco ist das, was man einen „Hidden Champion“ nennt, ein Unternehmen, das aus dem Verborgenen heraus Großes bewegt. Na ja, und das ist vielleicht auch ein wenig das Ergebnis des typisch hanseatischen Understatements.
Das Runde muss ins Eckige – Was Leschaco bewegt
Vieles, was Leschaco bewegt, ist entweder 20 oder 40 Fuß lang und jeweils 8 Fuß breit und hoch. Das sind die üblichen Maße für Container in denen japanischer Whiskey, chinesische Computer oder amerikanische Schallplatten transportiert werden – um nur mal einige Dinge zu nennen, von denen ich ein bisschen was verstehe. Die meisten von Leschaco transportierten Behälter sind 20 Fuß lang, aber im Querschnitt eher rund. Das Runde muss ins Eckige, wie man bei Werder sagt.
Leschaco ist nämlich spezialisiert auf den Transport von Gefahrgütern in Tankcontainern. Das sind eher nicht trinkbare Flüssigkeiten aus der chemischen Industrie. Hier geht es um ein Höchstmaß an Sicherheit. Für solche logistischen Herausforderungen haben wir für und mit unserem Kunden vor einigen Monaten den Gefahrgut-Blog gestartet. Aber darum soll es heute ebenso wenig gehen, wie um schmackhaftere Flüssigkeiten. Vielmehr will ich von meinem letzten Besuch bei Leschaco berichten. Das Unternehmen hat nämlich einen extrem sehenswerten und sicherlich den historisch bemerkenswertesten Firmensitz aller Unternehmen, die ich in den letzten dreißig Jahren betreuen durfte. Und das schreibe ich hier nicht nur, weil ich im Herzen schon immer ein wenig hanseatisch vorbelastet bin – nein, nicht erst seit Ex-Glubberer Niklas Füllkrug in Bremen das Runde ins Eckige zirkelt.
Buten un binnen – Bei Leschaco auf dem Bunker
„Buten un binnen – wagen un winnen“ steht über dem Portal des Schütting, dem Sitz der Bremer Handelskammer. Das ist niederdeutsch und bedeutet so viel wie „draußen und drinnen – wagen und gewinnen“. Das ist der Wahlspruch, neudeutsch der Slogan der bremischen Kaufleute, die sich schon immer auf den Handel im Land, aber eben auch auf den Handel mit Waren aus aller Welt, mit Import und Export verstanden, also mit dem „Draußen“. Das passt natürlich punktgenau zu einem Logistik-Experten wie Leschaco, der sich als das schlagende Herz der weltmarktorientierten deutschen Chemie-Branche versteht. Denn ohne Logistik bewegt sich in der deutschen Chemie, die auf den Weltmarkt angewiesen ist, nichts. Und Gefahrgüter sind das kritische Herz der Chemie, der Teil, wo es kompliziert wird. Leschaco ist dann sowas wie das Herz vom Herz, das Doppelherz.
„Innen und außen“, buten und binnen – das ist aber auch der Spannungsbogen, der den Besucher in der Kap-Horn-Straße 18 im bremischen Hafengelände fesselt. Denn steht man oben auf dem Dach der modernen Firmenzentrale von Leschaco, hat man nicht nur einen Blick auf allerlei Hafen-Gedöns. Wenn man tief nach unten blickt, so erspäht man gigantische nackte Beton-Wände, von denen man auf den ersten Blick nicht so recht weiß, was sie zu bedeuten haben.
Ich mag Häfen: immer ein wenig marode, immer glaubt man, Harry Belafontes „come mister tally man, tally me banana“ aus irgendwelchen Schiffsbäuchen zu hören.
Für das Fundament eines Bürogebäudes sind diese Betonwände doch recht massig geraten. Rätselhaft… Der Taxi-Fahrer aber kannte die Antwort auf das Rätsel bereits.
Der Bunker Hornisse – Deutschland geht in den Untergrund
In den Jahren 1968/69 errichtete Leschaco seine Firmenzentrale auf den Resten eines alten Bunkers. Dabei handelt es sich um die Bunker-Anlage „Hornisse“, die sich nach dem Krieg im Besitz des Bremer Senats befand und für die Bremen keine Verwendung hatte. Eine Sprengung der massiven Beton-Teile wäre zu teuer geworden. Die Nutzung als Fundament für ein Bürogebäude erschien damals die einzig sinnvolle Nutzungsmöglichkeit.
In der NS-Zeit sollte die Bremer Weser AG auf dem Gelände neben Handelsschiffen vor allem große Schlachtschiffe auf Kiel legen. Mit Kriegsbeginn wurden diese Pläne auf Eis gelegt und das 1939 weitgehend fertiggestellte, rund 370 Meter lange und 65 Meter breite Dock wurde für den U-Boot-Bau umgerüstet. 1942 wurden die Pläne nochmals geändert, da in der Zwischenzeit die britischen Bombenangriffe massiv zugenommen hatten. Die U-Boot-Werft sollte in einen U-Boot-Bunker umgebaut, also überdacht werden. Die Anlage sollte nun in einer Größe von 160 auf 110 Meter, später 370 auf 65 Meter überbaut werden. Dabei sollte die Beton-Decke in der ersten Baustufe, viereinhalb Meter dick, den meisten Bombenangriffen widerstehen können. Später war eine Verstärkung auf ganze sieben Meter geplant. Das wurde dann aber nicht mehr realisiert.
Diese Bauarbeiten zogen sich bis zum Kriegsende 1945 hin. Der Bunker Hornisse wurde aber nie fertiggestellt. Freilich wurde bis ins Frühjahr hinein ständig an den Planungen für die Hornisse gearbeitet. Noch im Februar 1945 glaubten die Verantwortlichen an den „Endsieg“ und änderten die Baupläne für die Anlage vom Fertigungsbunker in einen Bunker zur Reparatur für U-Boote.
Ein kleines Beispiel für die völlige Verblendung und Realitätsflucht der Verantwortlichen ist der Brief eines der Bewacher aus dem Marinekommando „Hornisse“. Karl W. schrieb noch am 10. Februar 1945 aus Bremen an seine Frau: „Die Front ist wieder gefestigt. Bei uns ist es sehr ruhig hier. Habe keine Bedenken, dass wir verlieren, so ernst die Lage z.Zt. ist.“ (zitiert nach Eike Hemmer, Robert Milbradt: Bunker Hornisse. Bremen 2005).
Zu diesem Zeitpunkt standen die Truppen der Alliierten im Osten bereits an der Oder, im Westen kurz vor Düren.
Am 30. März flog die US-Air Force einen massiven Bomben-Angriff auf das Gelände der Hornisse. Dabei wurden zwar die Einrichtungen der Baustelle weitgehend zerstört, die Bunker-Anlage selbst aber wurde nur zu einem relativ kleinen Teil beschädigt.
Marianne Chantelau, eine Mitarbeiterin der Verwaltung der Baustelle erinnert sich: „Wir haben stundenlang im Bunker gesessen. Der Bunker ging auf einmal wie ein Fahrstuhl rauf und runter. Da hatte eine Bombe ihn getroffen. Unsere Angst war unermesslich. … Als wir aus dem Bunker rauskamen, war unsere Angestellten-Baracke weg.“ (zitiert nach Eike Hemmer, Robert Milbradt: Bunker Hornisse. Bremen 2005) In der Baracke sind ausländische Arbeiter – Zwangsarbeiter und vermutlich auch Häftlinge – ums Leben gekommen. Sie durften sich während des Angriffs nicht im Bunker in Sicherheit bringen. Die Schäden am Bunker sieht man übrigens heute noch. Die Arbeiten wurden wieder aufgenommen und erst am 6. April 1945 wurde die Baustelle endgültig aufgegeben, am 11. April besetzten britische Truppen das Gelände.
Das furchtbare Kapitel von Zwangsarbeit und Konzentrationslagern
Die Bunker der NS-Kriegsmarine sollten nicht nur mit ihren U-Booten Tod auf den Weltmeeren bringen, sie haben auch entsetzliches Elend und hundertfachen Tod jenen gebracht, die zur Arbeit auf den Baustellen gezwungen wurden. In den ersten Jahren wurden noch Arbeitskräfte in den besetzten Ländern, etwa in Frankreich und Polen, angeworben, dann unter Zwang rekrutiert. Später wurden Kriegsgefangene zur Arbeit gezwungen und schließlich wurden Gefangene aus Konzentrationslagern, rassisch und politisch Verfolgte, unter unmenschlichen Bedingungen auf der Baustelle eingesetzt. Dafür wurden eigens mehrere Außenlager des KZ Neuengamme bei Bremen errichtet, eines als Teil des Lagers „Riespott“ am Industriehafen, ein weiteres in Gröpelingen, das „Lager Schützenhof“. Die meisten der etwa 1.200 Häftlinge, die beim Bau des Bunkers Hornisse zum Einsatz kamen, stammten aus Frankreich und der Sowjetunion. Viele von ihnen kamen während und durch den Arbeitseinsatz ums Leben.
An das Leid der Zwangsarbeiter und Häftlinge erinnern heute zwei Gedenktafeln an der Hornisse. Beide Tafeln befinden sich auf dem Gelände von Leschaco, sind aber frei für Besucher zugänglich.
Beton – es kommt drauf an, was man draus macht …
Nach dem Krieg ging das Gelände auf Kap Horn an den Bremer Senat zurück und dort hätte man das Gelände gerne geschliffen, was aber viel zu kostspielig gewesen wäre. Dann wollte man eine moderne Hafenanlage errichten. Doch war der Umbau der Beton-Anlagen technisch nicht möglich und wohl auch wirtschaftlich nicht sinnvoll. Immerhin konnte eine der Außenmauern zurückgebaut und in eine Kai-Anlage an der Weser integriert werden. Das Dock selbst erhielt einen Wasseranschluss an die Weser – bis 1945 war der Anschluss an den Fluss noch nicht realisiert worden.
Schließlich konnte Leschaco das Gelände in Erbpacht erwerben und damit etwas realisieren, was für viele Jahre nicht nur im Interesse Bremens, sondern der ganzen jungen Bundesrepublik lag.
Automobile für Amerika statt U-Boote gegen Engeland
Ab 1960 nutzte Leschaco das Kap-Horn-Gelände für die Verladung von Kraftfahrzeugen, vor allem der Marke Volkswagen. Bis dahin wurden VWs in Bremerhaven für den Export auf Schiffe verladen. Dort war das Gelände aber zu klein geworden, so dass Ende der 50er Jahre zwischen Bremerhaven und Bremen ein erbitterter Streit um die Ansiedlung eines neuen Automobilumschlaghafens ausbrach. Dass Bremen letztlich den Zuschlag erhielt, verdankte sich vor allem der Investitionsbereitschaft der Anker Schiffahrtsgesellschaft, einem Tochterunternehmen der Leschaco-Gruppe, die auf dem Gelände neben dem Hornisse-Bunker ab 1960 bis Mitte der 70er Jahre Europas größten Verladeplatz für PKWs aufbaute. Etwas poetischer formulierte es der damalige Eigentümer und Geschäftsführer Herbert Conrad, Großvater des heutigen Leschaco CEO in einem internen Meeting: „Das ist die einzige Garage auf der Welt am seeschiffstiefen Wasser“.
1961 wurden bereits 130.000 Automobile verschifft, ein Jahr später 150.000, wieder ein Jahr später schon 180.000. Am 12. März 1964 wurde der 500.000ste VW Käfer für die U.S.A. auf ein Schiff verladen. Am 23. September 1966 folgte der einmillionste „Beetle“. Statt U-Boote eroberten nun Käfer aus Deutschland die Welt. Ein schönes Beispiel erfolgreicher Rüstungskonversion der Wirtschaftswunderjahre.
In der Blütezeit des Geländes an der Kap-Horn-Straße konnten pro Tag bis zu 5.000 Automobile verladen werden. Das entsprach damals der gesamten Produktionskapazität des VW-Stammwerks in Wolfsburg. Drei große Übersee-Schiffe konnten gleichzeitig beladen werden. Bis zu 60 Spezialschiffe kreuzten für Volkswagen und Leschaco über den Atlantik, darunter ein damals hochmodernes RoRo-Schiff, ein Roll-on-Roll-off, bei dem die PKW aus eigener Kraft die befahrbaren Decks erreichen konnten. Ein Fruchtspezialschiff transportierte in West-Ost-Richtung rollende Käfer nach Südamerika und in Gegenrichtung auf jeder Tour 191.817 Kartons hoffentlich käferfreie Bananen vom ecuadorianischen Guayaquil nach Hamburg.
Ein Großparkplatz am Wasser
Das Gelände neben dem alten Bunker umfasste 80.000 qm Abstellfläche für PKWs, 300 Meter Hafen-Kaje (so nennt man in Bremen einen Kai) und 260 Meter Kaje an der Weser, sowie einen eigenen Bezirksbahnhof mit vier Kilometern Gleisen. Schließlich kamen die Volkswagen mit dem Zug aus Wolfsburg.
In diese umtriebige Zeit auf dem geschichtsträchtigen Werftgelände fiel auch die Entscheidung auf den Fundamenten des Bunkers Hornisse die neue Firmenzentrale von Leschaco zu errichten. Dieses Gebäude ragt heute wie ein großes Schiff über das Gelände an der Weser heraus.
Ich habe Jörg Conrad, den Sohn von Herbert Conrad, der das Gelände an der Kap-Horn-Straße entwickelt hat, im Herbst 2022 kennengelernt. Er hat mir damals, wenige Monate bevor er leider viel zu früh verstarb, das Gebäude gezeigt. Und er hat mir von der Geschichte erzählt. Seine Worte habe ich nicht vergessen: „Was können wir froh sein, dass dieser Bunker niemals fertiggestellt wurde. Und wie froh können wir sein, dass dieser unseelige Krieg nicht von Deutschland gewonnen wurde. Wir müssen dankbar sein, dass die Welt heute wieder mit uns Handel treibt.“ Die heutige Eigentümerfamilie hat das Unternehmen erst nach dem Krieg übernommen. Aber Verantwortung für die Geschichte zu übernehmen bedeutet, sich auf Toleranz und Weltoffenheit zu verpflichten. Der Firmenstandort auf einem historischen Platz wie dem U-Boot-Bunker Hornisse lehrt Toleranz.
Nachsatz: Was wurde aus der weltweit einzigen Garage am seeschifftiefem Wasser?
1974 endete die Zeit für die VW-Verladung in Bremen. Das ist ein eigenes spannendes Stück deutscher Wirtschaftsgeschichte. Dabei geht es um eine geänderte Exportpolitik von Volkswagen in den USA, Interessenskonflikte zwischen bremischen Unternehmen, die in der Hafenpolitik eine große Rolle spielen und allerlei politische Ranküne. Man kann sich gut vorstellen, dass die Entscheidung von Volkswagen, kurzfristig keine PKW mehr über Bremen in die Welt zu verschiffen, für ein Unternehmen wie Leschaco in den siebziger Jahren existenzgefährdend war.
Heute werden Volkswagen für die Welt in Emden auf Schiffe verladen. Dort steht der drittgrößte Automobilumschlagplatz Europas, betrieben von der Autoport Emden GmbH. Beteiligt an diesem Betreiber ist neben VW und der Emder Verkehrs-und Automotive Gesellschaft der Logistik-Spezialist Anker Schiffahrtsgesellschaft. Von der war vor ein paar Minuten schon zu lesen. Und Leschaco, aber das sagte ich schon, ist heute einer der weltweit führenden Anbieter im Bereich Gefahrgut-Logistik, international geschätzt auch auf Grund seiner Weltoffenheit. Und das alles hat – auch – mit einem Bunker zu tun, von dessen Besuch ich hier kurz erzählen wollte.
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© Illustrationen Leschaco und Michael Kausch
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