Vom Rummelplatz zum Marktplatz der Ideen: Wie weiter CEBIT?
Das war sie also für mich, die CEBIT 2018, die „neue CEBIT“; die in den letzten Jahren schon mehrmals totgesagte und totgeschriebene einstmals größte IT-Messe der Welt. Es ist unfair: wer sich ständig an 800.000 Besuchern aus der dotcom-Zeit im Jahr 2.000 messen lassen muss, hat einfach (fast) keine Chance. Man ist als Messe aber auch selbst ein bisschen schuld bei dem nahezu jährlich wechselnden Geeiere (lies: Ge-Eiere) zwischen Business-Messe für das Fachpublikum, Besucherzahlen und doch Endkunden auf die Messe locken. War das Feedback der Aussteller schlechter oder besser als in den vergangenen Jahren? Ehrlich gesagt: ich weiß es nicht. Wir alle wissen aber: Vertriebler (und Chefs) bekommen nie genug. Es können nie genug Kontakte, Leads, Visitenkarten oder gescannte Badges sein. Alleine dafür muss ich aber heutzutage nicht mehr unbedingt auf die CEBIT und vielleicht gar nicht mehr auf eine Messe gehen. Warum also fand ich die „neue CEBIT“ dann doch versöhnlich und sogar ein bisschen zukunftsträchtig, um nicht zu enthusiastisch zu werden.
Episode am Rande: Am letzten Messetag traf ich in der Früh den CEO eines unserer Kunden in der S-Bahn vom Flughafen. „Auf dem Weg zur Messe,“ so dachte ich. Nein, er war mit einem Mitarbeiter unterwegs zu einem Kunden. Business machen beim Kunden, nicht auf der Messe.
Sie müssen heute nicht „raus“ aufs Messegelände, um Leads zu machen. Vernetzen Sie sich, setzen Sie auf Social Selling mit Linkedin und Marketingautomation mit Hubspot. Automation ist natürlich beschönigend: Sie müssen sich schon auch im Web engagieren, wenn Sie etwas erreichen wollen. Dafür können Sie sich teure Messehotels und vier Tage Füße platt stehen sparen. Also, wenn es auf der Messe zu wenige Leads waren, dann überlegen Sie sich, ob es für Sie nicht bequemere und günstigere Wege gibt.
Kleiner historischer Exkurs: Deutschland ist weltweit das Messeland Nr. 1. (Welt 1.5.2007) , es begann vor 1.000 Jahren mit Warenbörsen, auf denen Produkte feilgeboten wurden. Für Frankfurt und Leipzig gibt es laut AUMA Belege seit dem 12. Und 13. Jahrhundert. Immer ging es darum, „Angebote transparenter“, also attraktiver zu machen und natürlich zu verkaufen. Auf den sogenannten „Mustermessen“ wurden Waren ausgestellt, die bestellt werden konnten. Die Wikipedia erwähnt wenigstens einmal den „Informationsaustausch“.
Niemand schreibt davon, dass die Messe auch ein Platz für das Netzwerken oder den Austausch und die Entwicklung von Ideen sein kann. Insofern ist das, was die Messegesellschaft in Hannover mit der „neuen CEBIT“ gewagt hat, wirklich ein Experiment. Denn nichts anderes ist der Versuch, eine SXSW aus Austin oder eine re:publica aus Berlin, wenn nicht zu kopieren, so doch nachzuahmen. Diese Veranstaltungen sind ja keine Messen im historischen (s.o.) Sinne, auch wenn Unternehmen sich dort präsentieren. Schwerlich lassen sich auf einer re:publica Leads erzeugen; wenn ich mir die Bilder und Erzählungen der SXSW ansehe und anhöre, dort wohl auch nicht. Zweck der Treffen ist ein etwas anderer: es ist der Austausch von Ideen, das gegenseitige Befruchten, die Inspiration und letztendlich auch der gemeinsame Spirit, der eine Community antreibt. Deshalb ist das, was auf der CEBIT dieses Jahr ein bisschen verächtlich, auch von mir, als Rummelplatz oder Spaßbetrieb, bezeichnet wurde, bei diesen Veranstaltungen üblich. Beginn erst ab 10 Uhr morgens, Abendveranstaltung bis in die Nacht, Räume zum Networken… Wenn das das Ziel der „neuen CEBIT“ sein soll, hat die Messegesellschaft schon Vieles richtig gemacht.
Episode am Rande: Ein Unternehmen tritt sehr früh als Testimonial für die „neue CEBIT“ auf. Nachfragen, was das für das Unternehmen selbst bedeutet, werden zunächst abgewehrt. Später wird nicht mehr nachgefragt. Drei Tage vor der CEBIT sehe ich Bilder vom Aufbau des Messestands, der genauso aussieht wie die letzten Jahre. Auch in der Halle, wo der Stand aufgebaut wird, deutete übrigens nichts auf die „neue CEBIT“ hin.
Das Dilemma ist natürlich, dass sich Marketingleiter und Vertriebschef am Erfolg der Messe messen lassen müssen. „Wie viele Leads hast du geschrieben?“ ist die erste Frage; später, im Laufe des Jahres dann „wie viel Umsatz ist daraus entstanden?“ – damit wird dann die Frage beantwortet, ob sich der Messeauftritt überhaupt gelohnt hat. Was nicht zählbar ist, kann deshalb auch nicht zum Erfolg gerechnet werden. Das Networking lässt sich allenfalls noch mit der Zahl der eingesammelten Visitenkarten als Erfolg verkaufen; oder die neuen Xing- oder Linkedin-Kontakte. Wie aber will man den inspirierenden Austausch von Ideen messen; wer kann noch nachvollziehen, wo eine zündende Produkt- oder Geschäftsidee ihren Anfang nahm?
Episode am Rande: Als ich am Dienstagabend um ca. 22.30 Uhr mit dem ICE aus München am Messebahnhof hielt, stiegen natürlich Aussteller zu, die Richtung Hannover Hauptbahnhof mitfahren wollten. Ein Statement als Bestandteil einer Unterhaltung zwischen Zweien verlief ungefähr so: „Ja, das ist schon gut, dass jetzt draußen mehr Stände für Essen und Trinken sind. Und bei dem Wetter ist es ja auch sehr angenehm. Wie soll ich aber meinem Chef erklären, dass ich beruflich auf einer Veranstaltung mit Riesenrad war?“
Wenn der Anspruch der Macher der „neuen CEBIT“ ist, die bisherige Warenbörse mit einem Austauschplatz von Ideen zu ergänzen, bedarf es noch Aufklärung gegenüber den Ausstellern; andernfalls verkommt das neue Konzept zu einer „alten CeBIT“ in den Hallen, während das Freigelände zu einem gesponserten Rummelplatz wird, an dem sich Aussteller und Messebesucher in den Pausen vom ‚Lead werden‘ und ‚Leads machen‘ erholen können.
Beobachtung nicht am Rande, sondern auf den CEBIT!signals, der Influencerkonferenz im Rahmen der „neuen CEBIT“, die am letzten Messetag in Halle 27 auf zwei Bühnen stattfand: Meinen Auftritt mit unserem Referenzprojekt Reiseblog hatte das Team des Flughafens und wir beim Isarnetz Award 2017 gewonnen. Ich durfte das Projekt dort vertreten und hatte den ersten Auftritt auf der Expert Stage. Das war um 10.40 Uhr, da waren die Stühle noch ziemlich leer – nicht verwunderlich, so dachte ich, am Morgen des letzten Messetags. Doch ich wurde eines besseren belehrt: binnen weniger Minuten füllten sich die Stuhlreihen vor mir. Und als ich im Laufe des Tages zwischen Expert und Center Stage hin- und herwanderte, gab es auf den Stuhlreihen keinen freien Platz mehr und auch die Sitzwürfel waren belegt. Es gab übrigens auch kleine Anklänge an den berühmten „Affenfelsen“ der re:publica; aufgetürmte Sitzgelegenheiten aus kistenförmigen Elementen mit Steckdosen für Ladegeräte; übrigens mangelte es auf der CEBIT dieses Jahr tatsächlich nicht an Steckdosen.
Die CEBIT!signals zeigen also, dass der Bedarf an Informations- und Ideenaustausch, zumindest bei der jungen Generation, (darf man sie Generation „I“, für Influencer, nennen?), besteht. Obwohl draußen der Biergartenbetrieb noch lief, leerten sich die Stühle der signals bis zum Nachmittag nicht. Und hier liegen große Aufgaben vor der Messegesellschaft: schafft sie es, die klassischen CeBIT-Aussteller zu überzeugen, sich darauf einzulassen, sich an dem Ideenaustausch zu beteiligen? Dass die Messe nicht mehr ausschließlich und einzig nach der Zahl der Leads bewertet wird, sondern auch nach den Ideen, der Motivation, dem Spirit, den man nach Hause genommen hat?
Meine Erfahrung am Rande: Ich konnte dieses Jahr die re:publica nicht besuchen, mir fehlt etwas. Neue Blickwinkel, unverbrauchte Gedanken und Ideen, verückte Menschen, die seltsame Dinge tun, und mich damit anregen, selbst über meinen Tellerrand zu schauen. So abgedroschen es klingt: den Kopf freizuspülen vom Alltag, sich einlassen auf andere Sphären – Ausbrechen aus der eigenen Filterblase. Das bringt Energie; für mich schaffte das die re:publica immer für ein Jahr. Die „alte CeBIT“ war statt dessen Arbeit, die „neue CEBIT“ war dieses Jahr noch nicht weit genug.
Was kann die Messegesellschaft tun? Wie bei so vielen Projekten der Digitalen Transformation reicht es auch hier nicht, ein paar Affenfelsen aufzustellen, Sitzsäcke zu verteilen und die Gänge breiter zu machen und ein paar coole Influencer aufs Gelände zu holen. Das alles gehört dazu, aber ich denke, für die nächsten Messen ist es wichtig, auch die klassischen Aussteller mitzunehmen.
Das sollte die Messegesellschaft unterstützen. AVM hat das schon ganz richtig gemacht und neben dem traditionellen Messestand in Halle 13 noch einen Recruiting-Auftritt im Freigelände hingelegt. Wie wäre es also, wenn die Messegesellschaft für kleine und mittelgroße Aussteller Präsenzen in einem, sagen wir Containerdorf, um den Biergarten herum anbietet. Es gibt doch in Deutschland die Kampagne „Land der Ideen“– wie wäre es, einen „Ort der Ideen“ anzubieten?
Hier könnte man sich treffen, ja, um Bier zu trinken, aber auch um sich abseits des klassischen Messestands auszutauschen und zu treffen und Gedanken, die in jedem schlummern, weiterzudenken oder besser gesagt, weiter zu spinnen. Dabei kann auch ein Blick von oben, z.B. aus dem Riesenrad, oder von einem Kran oder gar vom Turm helfen. Dann ist es eben nicht nur Volksfest, sondern ein Platz, an dem Ideen entstehen können, der inspiriert. Schon heute sind ja viele große und kleine Unternehmen mit großen und kreativen Ideen auf der Messe vertreten; die Mitarbeiter aber leider auf Ständen in den Hallen „festgenagelt“. Volkswagen präsentierte sich leider so riesig und alleinstehend; geht es nicht eine Nummer kleiner und inspirierender? Ich erinnere mich an den Auftritt von Daimler auf der re:publica vor zwei Jahren, zu dem Sascha Pallenberg, damals neu bei Daimler, erläuterte: „Das ist das Kleinste, was wir haben.“
Aber es reichte vollkommen um Präsenz zu zeigen, aufzufallen und, am wichtigsten, Denkanstöße zu geben. Aber hier wäre durchaus noch Vernetzung gefragt, nicht Abschottung. IBM, Vodafone, Volkswagen – die schiere Größe des Auftritts lässt den Gedanken daran, dass es außerhalb dieser Unternehmen noch etwas anderes geben könnte, gar nicht zu. Das ist schade. Ich würde mich freuen, wenn sich auch diese Unternehmen öffnen oder zumindest „teilen“ würden und den inspierenden, visionären Teil ihres Auftritts kleiner, kommunikativer und vernetzender gestalten würden. Ja, so würde ich mir die nächsten CEBITs wünschen: noch kommunikativer, noch vernetzender, noch ideenreicher.
Wir alle in der IT-Branche sollten auf die Suche gehen nach einem gemeinsamen Spirit für die neue CEBIT – Leads alleine werden es mittel- und langfristig nicht sein können. Insofern freue ich mich wirklich auf die nächste CEBIT, mit der großen Hoffnung, dass die Messegesellschaft das Konzept weiterentwickelt, die Aussteller mitnimmt und aus dem bloßen Rummelplatz ein echter Marktplatz der Ideen wird.
Gut gebrüllt, Löwe. Sehr gut geschrieben, sehr fair betrachtet. Ähnliche Eindrücke habe ich aus Hannover mitgebracht. Allerdings bin ich noch einen Tick skeptischer, was die Zukunft der CEBIT angeht: entweder sieht man den Tatsachen objektiv ins Auge (dann war’s das jetzt), oder man macht sich selbst etwas vor, redet alles möglichst schön und kriecht weiterhin auf der Standspur gen Ende. Also ein „Tod auf Raten“, wie einst Systems, Orbit & Co. Wir werden es erleben. Übrigens: Meine Gedanken zur CEBIT 2018 könnt ihr unter https://saschasmid.wordpress.com/2018/06/19/eine-messe-schafft-sich-ab/ nachschlagen (damit die Messe hier nicht zum Dauerthema wird) 🙂