Der Cebit-Hype: in Wahrheit Schwanengesang?
Vor einiger Zeit haben die Verantwortlichen der CEBIT (in Versalien, da eine Neuausrichtung auch die Schreibweise beeinflusst) verkündet, dass sich die Traditionsmesse erneut den Belangen und dem Wandel der Industrie anpasst. Nur diesmal soll der Schnitt extremer, besser, nachhaltiger und vielversprechender werden. So der Cebit-Hype. Was also wollen denn Macher und Aussteller an der ITK Schau, die seit dem 12. März 1986 als eigenständige Messe die weltweite Pflichtveranstaltung schlechthin war, ändern? Und wohin wird dieser gravierende Kurswechsel die CEBIT bringen?
Zwei Kollegen, die es wissen sollten, sind Michael Höppner und Sascha Smid, die bereits seit mehr als 20 Jahren im Business zuhause und auf der CEBIT zu Gast waren. Das bringt jede Menge Erfahrungen, Einblicke und Meinungen mit sich, die allerdings unterschiedlicher nicht sein könnten.
Frage: Sascha, warum glaubst du, dass die „CEBIT in neuem Gewand“ eine gute Chance mit viel Potenzial sein kann? Oder ist das nur Cebit-Hype?
Sascha: Nun, ich bin vor 23 Jahren zum ersten Mal in Hannover gewesen, um beruflich dem Mythos CeBIT (hier noch in der damaligen Schreibweise) zu folgen und mich mit branchenrelevanten Themen und Unternehmen zu beschäftigen. Bereits damals unkten die Leute, dass die CeBIT eigentlich ihre besten Tage erlebt hat und so langsam die Luft raus wäre. Schon damals koppelte man angesichts der Veränderungen in der Informationstechnologie beispielsweise den kompletten Bereich „Produkte für den Heimanwender“ auf die CeBIT Home aus. Und ja, damals war das Phänomen Leerstand in den Hallen auch präsent, aber nicht gravierend. Millennium- und Neuer Markt-Hype sorgten damals immer für hohe Ausstellerzahlen. Die CeBIT hat sich also immer wieder fangen können.
Michael: Den ständigen Schwund wird die CEBIT auch durch den Relaunch nicht stoppen können – an Ausstellern, an Besuchern oder an Relevanz. Denn die Branche geht einen anderen Weg – vertikal strukturiert. Die IT ist zu einer Querschnittstechnologie geworden, und keiner hat die Zeit oder das Geld, sich in einem großen, undefinierten Allgemein-Event die richtigen, branchenrelevanten Lösungen zu suchen. Microsoft hat sich in seiner letzten Umstrukturierung auch vom All-in-One-Ansatz getrennt und sich vertikal gegliedert. Microsoft geht folgerichtig auch nicht auf die CEBIT. Dieses Grundproblem geht der Relaunch der Messe nicht an. Er kann es auch gar nicht. Eine CEBIT funktioniert nicht mehr als Business-Setting.
Das Publikum: kleine Firmen oder Party-People?
Sascha: Ich glaube, die CEBIT war schon immer die Messe der kleinen Firmen. Ob mit eigenem Stand, ob ganz zurückhaltend im Systemstand irgendwo in einer Ecke: immer haben gerade die KMU es geschafft, ihre Produkte oder Dienstleistungen zur Schau zu stellen. Und dieses Konzept wird es so auch weiterhin geben. Dabei spielt es gerade für solche Firmen keinerlei Rolle, ob eine Microsoft vor Ort sein wird oder nicht. Im Gegenteil: Dann wird der Blick und die Aufmerksamkeit nicht mehr auf die Big Player gelenkt, sondern die Kraftzwerge kommen auch zur Geltung. Also insofern ist ein Fortbleiben der Großen förderlich. Mit ihrem neuen Gesamtkonzept hat sich die Messegesellschaft ja auch irgendwie genau dem verschrieben: coolen, hippen Companies eine Bühne für ihre coolen, hippen Produkte bieten. In neuem, modernen Style. Da braucht es keine Halle 1 mehr mit Staub-Ständen, Grau-in-Grau-Dress und 60-jährigem Messepersonal.
Michael: Das ist ein guter Punkt: Wer soll denn das Publikum der neuen CEBIT sein? Mit der d!campus scheinen die Verantwortlichen ja geradezu auf den jungen Jedermann abzuzielen. Hipster und Smartphone-Besitzer sind aber nicht automatisch ein geeignetes Publikum für den deutschen Mittelstand. Im Gegenteil, der Cebit-Hype-Trubel dürfte die pragmatischen B2B-Typen eher stören. Der Vergleich zur Leipziger Buchmesse drängt sich auf: seit Jahren beschweren sich die Aussteller über die Cosplayer, die die Messe zu einem bunten, lebhaften Schaulauf der Fantasie machen. Die wirklich spannenden Leute – die Coder und Macher, innovative Disruptoren, oder wie man sie nennen will – sind vom kommerziellen Charakter der Messe vermutlich eher abgeschreckt. Ich gebe es zu: der Gedanke, eine Art Sundance Festival der digitalen Welt mitten in Deutschland zu haben reizt mich sehr. Aber der Cebit nehme ich den Wandel zu dieser kreativen, subkulturellen, leicht subversiven Art von Event nicht ab. Das ist nur Cebit-Hype.
Sascha: Nun ja – es gibt auch etwas zwischen der grauen Eminenz und dem barttragenden Young Urban Creative (Yuccie). Es sind die IT-Nerds und Natives, die mehr über das „Dahinter“ wissen möchten, denen die Unternehmensleitung bislang aber nie die Möglichkeit bot, sich auf dem Parkett der Bits und Bytes umzusehen. Jetzt heißt es: Hey, das ist eher was für unseren Youngster aus dem Entwickler-Kabuff. Selbst wenn sich dann der altgediente Marketing-Stab schämt, überhaupt auf dem Messestand gesehen zu werden: Who cares? Die Jungs und Mädels hatten Jahrzehnte ihren Spaß. Jetzt kommen halt die in die Hallen des digitalen Bergkönigs, die auch mit dem Gebotenen etwas anfangen können, damit arbeiten. Ich bin fest überzeugt, dass das Konzept diejenigen anspricht, die unsere Kreativen von morgen sind, und nicht aus alter Tradition eher die Standpartys als die Ausstellung frequentieren. So muss das sein. Ich freue mich darauf, diese Macher zu treffen. Ich freue mich auf frischen Wind in den Hallen. Ich freue mich auf Hackathon statt Laber-Marathon. Und ganz zu schweigen von den Ausstellern selbst: Die treffen nun das interessierte Publikum, können demonstrieren, was ihr Unternehmen zu leisten vermag. Sind wir doch ehrlich: bislang waren die Stände eher Treffpunkt für vorab vereinbarte Meetings, die man auch locker per Telefonkonferenz oder Skype hätte halten können. Die wenigsten Firmen waren meiner Meinung nach daran interessiert, den informativen Bauchladen fürs Volk zu öffnen. Das verallgemeinernde Wort für den unliebsamen Standbesucher, die „Beutelratte“, wird sicher nicht mehr dermaßen thematisiert. Das werden dann eher Prospects.
Michael: Das klingt wie großartiger Cebit-Hype – fast wie eine Jobbörse für IT-Profis. Oder eine Verkaufsmesse für Endkunden – eben C2B und B2C. Aber ob das in Zeiten des Internethandels noch den Aufwand rechtfertigt? Ich habe meine Zweifel. Das Konzept der neuen CEBIT klingt nach zu viel Spaß, um Geschäft zu bringen, und nach zu wenig Fokus, um dem einzelnen Unternehmen die richtigen Kontakte zu bescheren. Wir wissen ja, dass die Branche in der Vergangenheit das Geld gerne in die Hand genommen hat, um nach Hannover zu fahren: es war Geld, dass sie dort – unmittelbar oder mittelbar – wieder verdient hat. Ob sie aber 2019 noch einmal gewillt sind, das große Branchen-Festival zu schmeißen, das steht in den Sternen der sommerlichen Hannover Nacht.
Sascha: Ich komme zu meiner persönlichen Schlussfolgerung, dass es Mitte Juni für die CEBIT und auch für die Aussteller eine gute Chance gibt, nochmal modern durchzustarten. Wie es ausgehen kann, wenn Messegesellschaften stur bleiben und auf dem Alten beharren, haben wir in den letzten 20 Jahren vielfach beobachten können. Geben wir also der CEBIT eine Chance, warten wir bitte mit dem Klagelied, ob dieses neue, vielversprechende Konzept nicht oder nur teilweise aufgeht. Denn eines ist klar: eine weitere Chance wird es nicht geben. Die Branchen sind knallhart und unerbittlich. Es bleibt spannend. Wir sehen uns in Hannover.
Michael: “Once more, with feeling” quasi.
Bilder:
Newcastle Libraries unter public domain auf Flickr
Cebit unter CC BY-ND 2.0 von Beshef auf Flickr
Cebit Australia unter CC BY-ND 2.0 von CeBIT Australia auf Flickr
Dein Kommentar
Want to join the discussion?Feel free to contribute!