Ein Prost aus Tokyo
Mein Freund, der hier aus bestimmten Gründen ungenannt bleiben soll, ist ein häufiger Asien-Reisender. Als erfolgreicher Geschäftsmann schickt ihn sein Arbeitgeber, ein mittelständischer Hightech-Anbieter patentgeschützter Fahrzeugelemente, regelmäßig in den Fernen Osten. Von dort bringt mein Freund gerne was mit. Sake etwa, wenn er in Japan war, oder raubkopierte DVDs unserer gemeinsamen Lieblingsfernsehserie.
Den Sake teil ich sehr gerne. Bei den DVDs sage ich nein – nicht nur weil die Qualität oft nicht so toll ist, sondern auch weil ich auch als Kind der Open-Source-Generation immer noch daran glaube, dass die Macher meiner geliebten Serie Geld dafür bekommen haben, dass sie monatelang auf Hawaii gesessen gedreht haben. Jetzt wo ich das so schreibe klingt das nicht mehr ganz so logisch. Die Schauspieler hatten sicher eine schöne Zeit, die Drehbuchschreiber, Special-Effekts-Teams, Schnitttechniker, Marketer und alle anderen, die in irgendwelchen Büros am Erfolg der Serie mitarbeiten vielleicht nicht so sehr.
Zurück zu meinem Freund und seinen DVDs aus China (um nur ein Beispiel für ein Land mit großem Pirateriemarkt zu wählen). Diese Woche wurde in Tokyo (also meiner freundschaftlichen Reisweinquelle) der ACTA-Vertrag abgeschlossen. Er soll den Schutz des geistigen Eigentums im 21. Jahrhundert auf eine international harmonisierte Basis stellen. Die meisten asiatischen Staaten, die mein Freund bereist, haben das Vertragswerk nicht unterschrieben. Für Deutschland ändert sich vermutlich nicht viel – die gesetzlichen Vorgaben des ACTA sind hier meist schon geltendes Recht.
Gleichwohl ist ACTA eine große Sache. Denn es hat ja seinen Grund, dass die Raubkopien in Deutschland nicht auf dem Flohmarkt für 80 Cent zu haben sind, und man auch in den europäischen Nachbarstaaten ein bisschen suchen muss, um sie zu finden. Wenn der gleiche rechtliche Schutz für die Hawaiianischen Fernsehfolgen (oder Musik, Software, Gucci-Taschen oder die Technik des Arbeitgebers, der meinen Freund nach Asien reisen lässt) weltweit gilt, dann wird man das kollektive Aufatmen der Film-, Musik-, Software- und Buchbranche rund um den Globus hören. Vielleicht können sie dann auch die unverschämten Preise senken, die ich im Onlineshop meiner Wahl für meine DVDs zahlen muss. Aber es ist mit der Piraterie wie mit dem Ladendiebstahl: die Ehrlichen zahlen für die Schnorrer mit.
Wie lange wird es dauern, bis wir so weit sind? China ist weit davon entfernt, das ACTA zu unterzeichnen. Bis dahin kriege ich meinen Sake billig, und meine DVDs teuer.
Hallo Herr Höppner,
endlich mal ein erfrischer Kommentar, der das Kernproblem der Fälschung an EINER (von vielen) aber wichtigen Wurzel beschreibt. Das Unschuldbewußtsein der breiten Bevölkerung ist immer noch erschreckend. Dass dieser Kaveliersdelikt häufig die organisierte Kriminalität nährt und unsere Arbeitsplätze gefährdet, bedenkt kaum jemand.
Lieber ein Originalprodukt mit Stolz und Leidenschaft kaufen – als viele Plagiate im Keller, über dessen Erwerb man kaum lange Freude hat… Ach, wenn die Welt nur moralisch denken würde…
Gruß
T. Völcker
Hallo Herr Völcker,
leider wird die Debatte zum Schutz geistigen Eigentums ausgesprochen hitzig geführt. Das ändert nichts an der Klarheit des Grundgedankens – die kreative Arbeit anderer ist bei der Nutzung zu bezahlen – verschleiert aber die Schlussfolgerung der praktischen, moralisch richtigen Handlung, zumal viele der negativen Folgen (Kriminalität, wirtschaftliche Schäden, Innovationshemmung) abstrakt scheinen.
Gruß,
Michael Höppner
Was man bei der Urheberrechtsfrage nicht vergessen sollte ist, dass durch Raubkopien meistens nicht der Urheber geschädigt wird, sondern der Vermarkter.
Ich begrüsse die Entlohnung des Urhebers, aber mit einem Verlag, einem Musiklabel oder einem Buchhändler etc. habe ich schon deutlich weniger Mitleid.
Künstler sollten mehr den Weg des Direktvertriebes wählen, dann kann man sie direkt entlohnen und bekommt ihre Werke für einen geringen Preis. Das funktioniert natürlich nicht immer. Kinofilme sind eben nur im ganz grossen Stil herzustellen, aber bei Musik, Literatur oder bei der bildendenden Kunst ist es sicherlich schon möglich und wird ja auch schon praktiziert.
Für einen Roman für 19,90 bekommt der Autor ca. 1,70 EUR. – Warum also Verlag, Drucker, Gross- und Einzelhandel mitverdienen lassen, wenn ich nur ein PDF oder eBook will …