Gute Nacht, Abendzeitung? Wie es mit der Zeitung weitergehen könnte

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In diesen Tagen wird sich das Schicksal einer Institution in der Presselandschaft entscheiden: findet sich ein Investor, so kann die Abendzeitung weitermachen. In irgendeiner Art und Weise. Wenn nicht, dann hatte Verleger Johannes Friedmann Recht: es sei „aussichtslos“, so meldete er sich noch am Tag der Insolvenz in der Süddeutschen. Es gibt gute Gründe für seinen Pessimismus, doch auch Strategien für die Zukunft des Boulevards. Fachmedienhäuser wie der Vogel IT Verlag oder IDG machen es vor.

Guteb Abend, Zeitung,gute Nacht?

Die Zukunft des Boulevard liegt in Wearable Media.

Zuerst die düstere Prognose. Zehn Millionen Verlust pro Jahr, sinkenden Auflage, Konkurrenzdruck durch nicht weniger als vier Blätter in München. Offenbar konnte die Zeitung auch keinen Weg finden, ihren erfolgreichen online-Auftritt in Umsatz umzusetzen. Wie einige meiner Kollegen, die sich über die online-Strategie der Zeitung ein Bild machten, konnte ich nicht erkennen, wie die Chefs in der Hopfenpost dieses Problem angehen wollten. Bannerwerbung ist auch 2014 kein ausreichender Umsatzkanal (siehe auch die Debatte um Adblocker), an Abo-Modelle trauen sich aktuell nur Spitzentitel wie die New York Times oder die Süddeutsche heran. Nachdem die TZ und die Bild München ihre Inhalte kostenlos zugänglich machen, wäre es ein wenig aussichtsreicher Schritt.

Also keine Chance mehr für die Abendzeitung? Es sieht danach aus. Wenn nicht ein Jeff Bezos auf goldenem Ross zur Rettung reitet. Doch selbst dann wird sich einiges ändern müssen. In welche Richtung könnte es gehen? Was ist die Zukunft des Boulevards?

Ein Weg könnte sein, der „Zeit“ nachzueifern und weg vom Aktuellen, hin zum Hintergrund zu gehen (siehe den Beitrag zur „Zukunft der Zeitung“ hier im Blog). Das erfahrene Redaktionsteam der Zeitung könnte diesen Weg schaffen. Doch für ein emotional hoch besetztes Angebot wie die Abendzeitung gäbe es noch einen anderen Weg: weg von der Papierzeitung, hin zu einem Angebot, dass auf die Vernetzung seines Marktes setzt. Diesen Kniff könnte man sich beim Vogel Verlag abschauen, der seine starken Fachzeitschriften als Hebel für die Marketing-Services verwendet, die er Unternehmen anbietet. Die Fimen wollen Kontakte zu den richtigen Ansprechpartnern bei potentiellen Kunden. Der Verlag kann sie über hochwertigen Content erreichen. Diese Dienstleistung verkauft er.

Ähnlich handhabt es auch der IDG-Verlag, dessen IT-lastiges Portfolio früh unter der online-Konkurrenz gelitten hatte. Mit Events wie dem Meet the Press setzt der Verlag seine Stellung als Gatekeeper und verlässliche Quelle ein, um Services zu verkaufen. Beide Häuser, Vogel wie IDG, besetzen dabei zunehmend eine Rolle als Content-Creator und bieten etwa durch Webcasts, Videos oder Infografik-Design den zahlungskräftigen Marketingabteilungen der Industrie einen Weg, mit wenig personellem Aufwand ihr Fachwissen in Leads, und damit Geschäft umzusetzen.

Wie kann dieser Weg für ein Boulevardblatt funktionieren? Anders als im B2B-Bereich sollen hier Verbraucher angesprochen werden, und das bedeutet neben dem Vertrauen in das einheimische Blatt auch eine emotionale Bindung. Beides ist in der Marke Abendzeitung nicht zuletzt aus historischen Gründen stark vertreten. Und im Print-Bereich praktizieren die Boulevardzeitungen einen ähnlichen Ansatz bereits mit redaktionellen Beilagen (also thematisch gebündelten Advertorials). Doch das ist nicht genug. Die Papier-Basis ist nicht mehr stark genug, ein multimedialer Ansatz muss her. Die Boulevard-Zeitung von morgen muss ein umfasendes Angebot aus Events, Video, Ton, Foto, Merchandising und allen denkbaren Kanälen umfassen. Das ist vielleicht zu viel verlangt für einen, der „von der Zeitung“ kommt. Also doch ein Fall für den deutschen Bezos.

Ist das das Ende des unabhängigen Journalismus? Wenn alles nur noch bezahlt ist und im Auftrag der großen Kunden geschieht, bleiben die kritischen Stimmen und die sorgfältige Recherche auf der Strecke. Könnte man orakeln – doch das würde das Alleinstellungsmerkmal der Zeitung beschädigen. Das Vertrauen in die redaktionellen Inhalte ist der Grund, warum die Leser bei ihrem Medium bleiben. Die Abendzeitung wäre also nicht mehr eine Redaktion mit angehängtem Anzeigengeschäft, sondern ein Kontakt-Portal mit dem Kronjuwel der (besten? traditionsreichsten?) Münchner Redaktion. Jeder Link auf Facebook, Twitter oder einem Blog zu einer guten Story der Abendzeitung bringen die Leute zum Angebot mit seinen Aktionen, Hinweisen, Events, der Möglichkeit zur Kontaktaufnahme. Weiterhin wichtig: die Einbindung von Bloggern, auch jetzt schon in geringem Maße praktiziert und etwa vom Stern online vorgemacht. Sie sind engagiert, bringen neue Leser und die Beteiligung der Webgemeinde.

Diese Empfehlungen lassen sich vom digitalen Armchair leicht reden. Ein Traditionsblatt so aufzustellen, ist eine Herkulesaufgabe, und der unvermeidbare trial-and-error-Prozess wird einen langen Atem und tiefe Taschen erfordern. Drei Monate vor Ende des Insolvenzschutz ist es dafür zu spät. Bleibt eben doch nur, auf die Rettung aus dem IT-Sektor zu warten.

 

 

1 Antwort
  1. Alexander Broy says:

    Für den Blog von Sigi Sommer hätte ich sofort ein Abo abgeschlossen. Aber der „Blasius“ ist leider vor der Verbreitung des Internets von uns hinweg flaniert.

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