In Bayern steht man aktiv
Bayern und der Bayerische Dialekt haben ihre Eigenheiten. Hier „hat“ man nicht gestanden, hier „ist“ man gestanden. „Ich bin den ganzen Tag vor dem Hacker-Zelt gestanden, und der Türsteher hat mich nicht hinein gelassen“ ist völlig korrektes Deutsch, laut Zwiebelfisch. Dabei wird der Perfekt von Verben allgemein nur dann mit „sein“ gebildet, wenn es Verben der Bewegung sind: „ich bin gelaufen“ statt „ich habe gelaufen“. Merke: In Bayern steht (und sitzt, liegt und lehnt) man beweglich, geradezu aktiv.
Böse Zungen könnten auch behaupten, die typisch bayerische Köperform mache aus dem simplen Akt des Stehens einen Herkulesakt, oder aber dass die Menschen im Süden der Republik umgekehrt auch im Gehen nicht so recht vorankommen, und deswegen die Perfektform von Stillstand und Bewegung gleich bilden. Ich habe – nicht nur deswegen – einen Feldversuch mit einem Stehpult gestartet, und komme zu dem Ergebnis: Stehen macht beweglich im Kopf. Nicht nur in Bayern.
Das vibrio-Büro ist ja nicht erst seit unserem Umzug auf Mobilität ausgelegt. Die größere Flexibilität ist – das haben wir inzwischen herausgefunden – tatsächlich der Arbeitsleistung zuträglich, wenn auch nicht alle Kollegen sie konsequent nutzen. Doch man kann die freie Platzwahl noch einmal steigern: indem man dem Chef sein Stehpult klaut, während er auf der CeBit ist. Sozusagen als Tribut an die vielen Kilometer, die unsere Lieblingsmesse uns allen schon an Schuhledermeilen abverlangt hat.
Meine Occupy Stehpult-Bewegung hatte aber auch einen anderen Grund: verschiedene Untersuchungen zeigen, dass das Denken und Fühlen stark kontextabhängig von körperlichen Empfindungen und Zuständen abhängt. Wer eine warme Tasse in der Hand hält, bewertet Menschen als „wärmer“ oder „freundlicher“, wer einen schweren Gegenstand trägt, misst einem Argument mehr Gewicht zu. Wer den ganzen Tag auf seinem Podex sitzt (selbst in Bayern) ist vielleicht geistig nicht ganz so beweglich, wie wenn er stünde.
Nach neun Stunden am Stehpult und verwunderten Fragen von jedem einzelnen Kollegen („stehst Du jetzt den ganzen Tag da?“) bin ich ein Fan des Pults geworden. Nicht nur ist es wahrscheinlich gut für den Rücken (des Bürohengstes Achillesferse) – ich habe auch den Eindruck, dass ich fitter, unternehmungsfreudiger und wacher bin als im Sitzen. Das „Suppenkoma“ fiel weitgehend aus, und auch wenn mir eine feste Metrik für die Produktivität fehlt (bearbeitete Mails? Getippte Zeichen?), ganz zu schweigen von der Kreativität, sagt mir das Bauchgefühl doch, dass ich mehr geschafft habe. Mehr Spaß habe ich auf jeden Fall gehabt.
Ein paar offene Fragen allerdings bleiben: Wohin mit der Kaffetasse auf der schiefen Oberfläche, und wie kann ich einen zweiten Monitor nutzen, ohne mir den Hals zu verrenken? Aber auch für diese Probleme lässt sich sicher ein Lösung finden. Zur Not sitze ich sie aus, ganz bayerisch-aktiv.
Wenn’st an ganzen Tag rumstehst, macht das aus dir noch kein g’standens Mannsbild, das will ich dir doch mal sagen. Ausserdem glaube ich nicht so recht an deine bin/haben Theorie mit der Bewegung. Schliesslich san Einige gesessen und Andere haben gesessen – in St. Adelheim!
Aber sonst: „Steh ruhig weiter“, ich hock mich lieber hin, was im Bayern übrigens nichts mit der Hocke zu tun hat.
Ich komm mir auch vor wie der Eckensteher Nante, der zwar beruflich unbeweglich war, aber für seine Kreativität bekannt.
Aber es stimmt, was die Bayerischen Zuchthausinsassen angeht: uns steht die bequeme sprachliche Unterscheidung von Sein und Haben zur Verfügung, um das wesentliche zu sagen, andere Stämme müssen sich mit der Vorsilbe „ein-“ behelfen, um die strafrechtlich verordnete Immobilität zu bezeichnen.