Journalisten und Blogger im Kulturkampf – wie eine nette kleine Aktion der WELTkompakt zum Aufruhr in Kleinbloggingen führt

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weltkompakt

Das hat sich Frank Schmiechen, der stellvertretende Chefredakteur der WELTkompakt sicherlich anders vorgestellt, als er vor einigen Tagen „führende deutsche Blogger“ dazu einlud, die Redaktion seines Blattes für einen Tag zu übernehmen. Nach seinen Worten handelt es sich um ein „Medien-Experiment …, das es bisher noch nicht gegeben hat. An dieser Stelle darf ich den Text der Einladung dokumentieren:

„Wie würde es Ihnen gefallen, sich mit Gleichgesinnten einen Tag lang auf einem großen Abenteuerspielplatz frei auszutoben? Zumindest hoffen wir, dass es sich wie eine Art Abenteuerspielplatz anfühlt – denn mit dieser Mail laden wir Sie ein, an einem Medien-Experiment teilzunehmen, das es bisher noch nicht gegeben hat. Für einen Tag überlassen wir die WELT-KOMPAKT-Redaktion Schreibern, die ihre Texte sonst nur online veröffentlichen: Bloggern, Twitterern, Amazon-Rezensenten, Wikipedianern und Co. Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie als einer der führenden deutschen Blogger bei diesem Experiment dabei wären. WELT KOMPAKT setzt sich wie wohl keine zweite deutsche Tageszeitung mit dem Netz und dessen Auswirkungen auf unser Leben auseinander. Möglicherweise erinnern Sie sich an unsere Werbekampagne aus 2009, in der wir über Internetphänomene wie „Wir haben online so viele Freunde, dass wir ein neues Wort für die echten brauchen“ nachgedacht haben.  Nun wollen wir in dieser Auseinandersetzung mit dem Internet einen Schritt weitergehen, indem wir für eine Sonderausgabe die Redaktion durch Online-Publizisten austauschen und damit die Schreibe des Internet mit dem Medium Papier verbinden – was auch immer dabei herauskommt. Die einzigen Regeln, die gelten, sind fünf von uns aufgestellte Axiome:
1. Du sollst werten.
2. Die Uhr ist Dein Feind.
3. Der Chefredakteur ist Dein Freund.
4. Die Themen der Zeit sind Deine Themen.
5. Schreibe offline wie online: Sei wer Du bist.“

Nun ist Frank Schmiechen einer jener Journalisten, die sich schon seit langem auch für die Welt der „Social Media“, für Blogger und Twitterer interessieren. Er hat sich vermutlich richtig auf die Zusammenarbeit und Konfrontation mit den schreibenden Online-Kollegen gefreut. Und wir haben uns auch gefreut. „Wir“, denn ich bin als Mitbetreiber des kleinen Czyslansky-Blogs ebenfalls eingeladen worden an der WELTkompakt-Ausgabe des 1. Juli 2010 mitzuwirken. Dann aber kam alles ganz anders …

Robert Basic, Jeff Jarvis und Sachar Kriwoj sind als Edel-Mäuse mit dabei

Von Anfang an war klar, dass alle beteiligten Blogger die Reisespesen (Flug und Hotel) ersetzt bekommen würden. Es war aber natürlich nicht klar, welche Blogger Zeit und Lust verspüren würden, an diesem Projekt aktiv mitzuwirken. Über ein Honorar wurde nicht geredet – und ich habe auch niemals ein Honorar erwartet, ging es doch wirklich um ein einmaliges „Projekt“, an dem der Verlag gar nichts verdienen kann: seine Redaktion muss ja weiterbezahlt werden und die Reisespesen für zwei Dutzend Blogger würden eventuell eingesparte Freelancer-Honorare für diese eine Ausgabe sicherlich übertreffen. Die Aktion wurde dann über eine Presseerklärung angekündigt, die als Teilnehmer die „Edel-Mäuse“ – von „Edel-Federn“ kann man im Zeitalter des elektronischen Publizierens ja kaum reden; das „Handwerkszeug“ hat sich geändert – Jeff Jarvis (BuzzMachine), Robert Basic (robertbasic.de) und Sachar Kriwoj (Massenpublikum) genannt. So weit, so gut!

Hätte nicht der bekannte Münchner Blogger Deef Pirmasens in seinem Blog „die gefühlskonserve“ gestern ein großes Fass aufgemacht, das sich schnell zum stinkenden Gärbehälter für den Kulturkrampf zwischen Bloggern und Journalisten entwickelte. Deef Pirmasens erklärt in der gefühlskonserve, warum er beschlossen hat, NICHT an der Aktion der WELTkompakt teilzunehmen. Als wichtigsten Grund führt er an, dass die WELTkompakt den Bloggern kein Honorar zusagen könne. „Ich als Freiberufler verlöre einen Tagessatz meines regulären Medienjobs – ein Minusgeschäft also.“ Das wäre ja noch nachzuvollziehen, wenn nicht schon im nächsten Satz der allgemeine Dünkel aus der Magengrube empor gekrochen wäre, dass man als Blogger von Schmiechen und seinen Kollegen bloß nicht ganz ernst genommen würde: „Vielleicht ist meine Arbeit einfach nichts wert, zumindest nicht für Printmedien. Ist schließlich schon 16 Jahre her, dass ich für die Pirmasenser Zeitung über Gemeinderäte und Kleintierzüchter berichtete.“ Während BDZV und ver.di die ganze Aktion – für mich nachvollziehbar – als einmaliges Projekt bezeichneten und deshalb ein Wegfall der Honorarpflicht als „ok“ bewerteten, hält Deef Pirmasens das ganze für Lohnbetrug und Ausbeutung. Thomas Mrazek, Vorsitzender der Fachgruppe Online-Journalisten im DJV, sei da übrigens ganz seiner Meinung. Konsequenterweise lehnte er also eine Mitwirkung am Projekt ab. Inzwischen hat übrigens Frank Schmiechen auf dem Blog von Robert Basic klargestellt, dass doch ein Honorar gezahlt werden wird. Die Vorwürfe gegen den Verlag in diesem Punkt ebben aber nicht ab. Was einmal im Web steht, steht dort für immer und ewig. Und Nachlesen ist nicht die Stärke virtueller Schnellschützen.

Blogger wollen doch nur geliebt werden

Auf das Posting von Deef Pirmasens begann sich die Lawine ewig unverstandener und unglücklicher Blogger schnell über die arme WELTkompakt niederzuwälzen. Journalisten sind ja bei PR-Leuten durchaus für ihr häufig elitäres Kastendenken bekannt – mit der „vierten Gewalt“ wird noch jeder Wochenmarktberichterstatter zum investigativen Watergate-Helden, der via Presseausweis und persönlicher Relevanz für alles Leben auf diesem Planeten kostenlos in den Münchner Zoo darf und bei Allianz und VW mit Journalistenrabatten rechnen kann. Blogger stehen diesem Super-Ego häufig keinen Millimeter nach: niemand ist so unbestechlich, kritisch und daslebendurchschauend, wie ein Blogger in seiner Bloggerstube. Dass sich beide Spezies da häufig nicht riechen können, braucht nicht zu überraschen. Als „schlimm“ wird natürlich empfunden, wenn der Pressetext des Springer-Verlags nicht alle eingeladenen Blogger auflistet, sondern nur die drei vermutlich wirklich bekanntesten „anteasert“. So beschwerte sich eine Kommentatorin bei Deef Pirmasens: „kürzlich hatte auch die FAZ ein Special über Blogger, erwähnt wurden wieder einmal nur üblichen Verdächtigen (Lobo, Niggemeier usw.). Alles Leute, die mittlerweile als Blogger mehr verdienen als (früher als) Journalisten…“. In den Köpfen geht es wieder einmal um den großen Menscheitskampf „Die Guten gegen die Bösen“, in dem die anderen immer die Dummen sind: „Schön fänd ich’s, wenn die Blogger eine weiße, leere Zeitung abgeben würden. Experiment geglückt. Vorne steht drauf: ‚Ihr habt es nicht verstanden.’” Nein, Bloggingen ist nicht für seine Toleranz bekannt, aber für eine nicht seltene Form der Hybris: „Diese tollen Vize – Chefredakteure und andere Führungsmenschen von den Holzmedien,können ohne uns BloggerInnen ganrichts ausrichten. Irgendwann ist ihr Latein auch mal aufgebraucht. Wir sollten stolz erhobenen Hauptes, mit dieser Tatsache hausieren gehen.Wir sind zuweilen mit unserem Talent zubescheiden.“ Was sicher nicht für jenen Blogger gilt, der sich darüber freut, dass er es geschafft habe mit seinem „Blog in gleicher Augenhöhe mit dpa in La Stampa als aktive Quelle genannt zu werden“. Was ist da schon ein Beitrag in der WELTkompakt … (alle Zitate übrigens aus der Diskussion in der gefühlskonserve)

Wer für Springer schreibt tötet auch kleine Vietnamesenkinder …

Es tritt von links auf: die revolutionäre Attitüde der Spätgeborenen, die lauthals den Moralhammer schwingen, wenn es um und – besser – gegen Springer geht: „Dass Blogger im Jahre 2010 kostenlos für den Springer-Verlag arbeiten, ist armselig.“ „Was den Springerverlag angeht: der ist immer noch keinen Deut besser als “damals”, also nichts, was man durch unentgeltliche Arbeit auch noch unterstützen sollte.“ In meiner Twitterrolle musste ich lesen „’Wir bloggen nicht für Springer’ = Jugendsprache für ‘Enteignet Springer’“. Haben da welche die letzten 40 Jahre verschlafen? Was hat die – natürlich überwiegend konservative – WELTkompakt mit der BILD-Zeitung der Restaurationsjahre der jungen Bundesrepublik zu tun?

Twitterer bov wirft den an der WELTkompakt beteiligten Bloggern denn auch heldenmütig „Embedded Journalism“ vor, ohne auch nur einen Hinweis auf offene oder versteckte Zensur zu finden. Was für ein großes Getöse. Wieviel Misstrauen und vielleicht sogar Hass gegen die etablierten Medien spricht aus solchen Zwitschertönen …

Kulturkampf oder Kulturkrampf?

Die guten Blogger hier, die bösen und zugleich blöden „Holzmedien“ dort. Der Ignoranz, mit der viele Verleger und Print-Journalisten jahrelang dem Phänomen Social Media begegneten wird mit der gleichen Dümmlichkeit geantwortet. Dass man Robert Basic „Embedded Journalism“ vorwirft, verharmlost die PR-Arbeit der Militärs im Irak und anderswo. Dass es mit Frank Schmiechen ausgerechnet einen Journalisten trifft, der neugierig ist und die Kommunikation sucht, ist traurig. Auch wenn aus seinem Haus bornierte Aussagen kommen wie “Während wir als professionelle Journalisten jeden Tag in Print und Online berichten, einordnen und bewerten, stehen Blogger für subjektive Meinungsäußerung im Netz.“ Das Schlimmste ist doch: wenn man manche Blogger-Kommentare liest, ist man geneigt solchem vermeintlichem Unfug Recht zu geben: zu häufig dominiert die schnelle Meinung, Emotion und das vermeintlich geniale Bonmot über den Gebrauch des Hirns.

Offenbar liegt der Konflikt zwischen Bloggern und Journalisten nicht nur in überkommenen Ritualen begründet – der Journalist klatscht nicht auf Pressekonferenzen, der Blogger applaudiert dem Referenten, der Journalist nimmt nur die Häppchen vom Veranstalter, der Blogger auch vom „Sponsor“. Offenbar verhindert der Statusdünkel auf beiden Seiten allzu häufig die Kommunikation und produktive Konfrontation. Verlieren werden übrigens auf Dauer beide Fraktionen: in der neuen Medienwelt wird der Druck auf die Entlohnung journalistischer Arbeit zunehmen: Online-Stock-Bilderdienste und FlickR machen den Fotojournalisten das Leben schwer, Bürgerreporter verdrängen nicht nur „freie“ Journalisten, guter Online-Journalismus hat es schwer im kostenlosen Web zu überleben, oder alternativ mit Apple’s Gnaden Einlass in die Welt der iBretter zu erhalten. Blogger und Journalisten haben so viele gemeinsame Themen. Ihre unterschiedliche Sozialisierung könnte eine Bereicherung sein. Das Projekt WELTkompakt hat zumindest erreicht, dass wir alle erfahren mussten, dass die Kluft nicht kleiner geworden ist.

8 Kommentare
  1. rose says:

    super text. unterschreibe ich sofort. ich bleibe dabei: ich schau mir das ganze an und hinterher gibt es eine geschichte. ich musste von deef auch gerade einstecken. ich lassse mich ja „ganz einfach kaufen“.

    habe sehr gelacht!

    viele grüße

    rose

  2. rose says:

    ich hab mal noch ne frage, unter dem deef blog wird nun behauptet, es bekomme nur einige dieses honorar. jetzt geht es richtig los. also, bestehen wir nun alle auf ein honorar, von dem wir bis gestern nix wussten, oder machen wir kein trara darum?

  3. rose says:

    ich finde ja, wir sollten einfach alle schuhe kaufen gehen und davon schicke bilder machen. schön wäre ja, wenn wir das honorar in einem umschlag mit schleife drum am abend bekommen würden, dann könnten wir am tag danach alle gemeinsam schuhe kaufen und voll den abgefahrenen blogger-schuhe-kaufen-event machen. ach, ich drifte ab….ich sage mal: bis nächste woche. das wird spannend.

  4. Flo says:

    Zu Lachen (oder Weinen?). Klar, das manche Medienleute dummes Zeug über Blogger gesagt haben und einige mit dem Web überfordert sind. Aber manchmal beschleicht mich bei den Zeterbloggern auch das Gefühl, das hier alte Rechnungen mit den alten Medien beglichen werden. Enttäuschte Volontäre, die keine Stelle bekommen haben, Sozialromantiker, die nicht wahrhaben wollen, das Journalismus eben doch auch (nur) ein Geschäft ist wie jedes andere auch, oder Menschen die früher jeden Tag einen Leserbrief geschrieben hätten, weil sie eben doch schlauer sind als alle anderen. Die Schärfe der Rhetorik erinnert mich manchmal an die Rache einer verschmähten Liebe.

  5. Sandra says:

    Himmel, bin ich froh, nur oberflächliche Klatschbloggerin zu sein. Stell mir vor, mitdiskutieren zu müssen. Alles so wichtig.

    Ich bestehe auf kein Honorar und spreche es auch nicht an. Wenn Springer möchte, werden sie bezahlen. Wenn nicht, bin ich (wahrscheinlich) dankbar fürs Projekt. Natürlich nur, weil ich oberflächliche und ahnungslose Klatschbloggerin bin.

    Schuhe kaufen komm‘ ich selbstverständlich mit.

    xoxo

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