Onlinerisiko: Jugend
„Das einzige, wovor Jugendliche geschützt werden müssen, sind die Erwachsenen.“ – Heinrich Böll
Warnungen des BKA sind geeignet, für allgemeine Aufregung zu sorgen. In einer aktuellen Studie kommt das Amt nun zum Schluss, dass „mit zunehmendem Alter […] bei Kindern und Jugendlichen [sich] die Sicherheitsgefährdung des Computers und damit einhergehende Viktimisierungserfahrungen erhöht. Wohlgemerkt: nicht irgendeines Computers, sondern der Familien-PC, dessen Nutzung „die Norm“ zu sein scheint. Ihr Teenager gefährdet ihr Online-Banking!
Als ob das nicht furchteinflössend genug wäre, sind die kleinen PC-Vandalen auch noch leichtsinnig: „Die meisten Kinder und Jugendlichen haben noch keine vertiefte Risikowahrnehmung für den Bereich der Internetgefährdung entwickelt und schätzen im Durchschnitt das Risiko von Internetkriminalität getroffen zu werden als mittel ein.“ (wobei sich die Frage aufwirft, als wie hoch das BKA dieses Risiko einschätzt. Es mag eine Berufskrankheit sein, dass „mittel“ der Behörde nicht genug zu sein scheint.)
Das Patentrezept gegen diese Gefahr durch jugendlichen Computergebrauch? Neben technischen Maßnahmen wird strengere Aufsicht durch die Eltern empfohlen: „Je stärker die Elternkontrolle ist, umso größer ist die Risikowahrnehmung ihrer Kinder, umso weniger zeigen die Befragten sorgloses oder riskantes Verhalten im Umgang mit Mails und Links und umso weniger besuchen sie illegale Seiten oder betreiben Software-Piraterie.“ Doch, so beklagen die Beamten, an dieser Aufsicht hapert es: „Wie bereits gezeigt wurde, geben ca. 50 % der Kinder und Jugendlichen an, von ihren Eltern kaum bis gar nicht bei der Computer- und Internetnutzung beaufsichtigt oder hinterfragt zu werden.“
Besonders groß scheint das Risiko durch die Nutzung von Angeboten der Softwarepiraterie zu sein – fast 50 Prozent der Jugendlichen gaben zu, sich hier schon vergangen zu haben. Mit den Admin-Rechten, die rund zwei Drittel von ihnen haben, könnten sie so Malware direkt auf den Rechner schleusen. Das schlimme dabei: je besser sie Bescheid wissen, die Teens, desto weniger scheren sie die Risiken, so das BKA.
Da haben wir es wieder: diese Jugendlichen. Leichtsinnig, beratungsresistent, außer Kontrolle. Eine Gefahr für den Familienfrieden. Daran hat sich offenbar seit den 68ern – ach was, seit der Rock’n’Roll Ära, oder vielleicht sogar der frühen Steinzeit – nichts geändert. Aber wie man ihnen beikommt, den jungen Vandalen, weiß das BKA auch: „Darüber hinaus kann ein glaubwürdiger Sender versuchen, die Risikowahrnehmung und damit einhergehende Verhaltensänderungen zu stimulieren, indem er Angst beim Empfänger auslöst.“
Nun ist es natürlich leicht, sich wie dieser Autor einzelne Stückchen aus einer tatsächlich wohl durchdachten Studie herauszupicken und damit ein wenig überspitzt zu formulieren, was vielleicht gerade mal ein latenter Grundgedanke der Studienmacher war (die zu ihrer Entlastung auch großes Augenmerk auf die Gefährdung von Jugendlichen legen, nicht nur auf die durch Jugendliche). Aber gerade die Strategie der Angsterzeugung bei Jugendlichen macht hellhörig, wenn man sich zwei aktuelle Urteile vor Augen hält. Zweimal wurden Betreiber von Filesharing-Angeboten mit vor Gericht belangt: 1,5 Millionen Euro Schadensersatz für eine junge Frau in den USA, 30 Euro Schadensersatz im Falle eines jungen Mannes in Deutschland. Pikanterweise nahm hier das Gericht den Vater des Jugendlichen ebenfalls in die Pflicht: „Der Beklagte zu sei zwar als sog. Störer anzusehen, weil er seinem Sohn unter Verletzung von Überwachungspflichten den Internetanschluss zur Verfügung gestellt habe“ jedoch werde „durch dieses Verhalten […] jedoch keine Schadensersatzpflicht begründet.“ Das BKA hatte ja gewarnt!
Raubkopien, Urheberrecht, die Zukunft der Innovation, der Schaden für Musik-, Film-, Software und andere betroffene Branchen: die Thematik ist kompliziert und wird emotionell diskutiert. Es scheint, als würden sich deren irrationalste Elemente bei den Kindern und Jugendlichen kristallisieren, die vor allem in den Medien abwechselnd als Opfer und Täter gehandelt werden. Aus jahrelanger Arbeit in diesem Themenumfeld glaube ich durchaus beurteilen zu können, dass Piraterie weit verbreitet ist. Aber wenn ich an meine eigenen jugendlichen Piraterieerfahrungen denke – Audiokassetten meiner Lieblingsbands, deren legal erworbene CDs ich mir heute reihenweise ins Regal stelle – dann frage ich mich manchmal schon, ob ich ein so schlechter Kunde für die Industrie war. Andererseits habe ich auch Computerspiele verwendet, deren Quelle nicht ganz koscher war – und die Herstellerfirmen sind schon lange pleite, und wären es vielleicht nicht, wenn ich und meinesgleichen für unseren Spaß am C64 mehr gezahlt hätten.
Obwohl, Commodore sind auch pleite gegangen. Und deren Produkt konnte man nicht raubkopieren.
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