O’zapft is! Die Wiesn: Markenbildung, Trendschau und Networking

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Morgen ist es wieder soweit: das Münchner Oktoberfest startet und wird für gut zwei Wochen zumindest mein Leben ordentlich auf den Kopf stellen. Aber nicht nur ich fiebere der fünften bayerischen Jahreszeit schon seit Monaten entgegen – auch Medien, Agenturen, Produktmanager und diverse Promis haben die Wiesn für sich entdeckt. Und, was geht das die Dampflog-Leser an? Eine ganze Menge! Die Wiesn ist einer der größten Marketing-Coups aller Zeiten, sie ist ein Forschungsobjekt, wie unter dem weißblauen Himmel Bavaria 2.0 gelebt wird. Sie ist außerdem der beste Platz für globales Networking!

Um das klarzustellen: Ich bin eine echte Wiesn-Fanatikerin. Meine Dirndl hängen seit Wochen gebügelt am Schrank, meine Termine plane ich nicht nach Daten, sondern nach dem Schema: Tag X in Wiesnwoche Y. Überhöhte Bierpreise, das alljährliche Verkehrschaos und aufdringliche Südeuropäer sind hier also nur Nebensache – das Oktoberfest ist für mich vor allem ein Ort zum Staunen, Freunde treffen und Neues zu erleben.

Vom Pferderennen zum weltweiten Marketingerfolg
Das ist nämlich auch der Grundgedanke der ganzen Veranstaltung: Das erste Oktoberfest fand am 17. Oktober 1810 statt, feierlicher Anlass für das Pferderennen war die Hochzeit von Ludwig von Bayern und Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen. Und schon ein Jahr später erkannte der „Landwirtschaftliche Verein in Bayern“ das Potential des Festes als Schauplatz für Produktvorstellungen. Im Laufe des letzten Jahrhunderts wuchs das Oktoberfest, Schausteller kamen hinzu, die Münchner Brauereien stellten immer größere und aufwendigere Zelte auf. Mittlerweile ist die Wiesn ein Sinnbild für Bayern – und auch für Deutschland. Spricht man irgendwo auf der Welt mit einem Fremden, so fallen die Worte Lederhose, Oktoberfest und Bier meist im ersten Satz. Ein Traum für jede Marketingabteilung! Wer hat das sonst geschafft? McDonalds vielleicht, oder Apple mit dem iPad. Oktoberfeste gibt es mittlerweile nicht nur in München, sondern auch auf dem Hamburger Fischmarkt und im weit entfernten argentinischen Córdoba. Die Bestandteile des Volksfestes und die Begeisterung dafür machen sich heute neben den Eventveranstaltern auch die Produktmanager verschiedenster Branchen zu Nutze: So gibt es heute Schminksets im Trachtenlook, Sportschuhe mit blau-weißer Rauteneinlage, und so mancher Bekleidungshersteller schließt sich dem Trend zur Tracht mit einem eigenen Dirndl an. Dazu kommen Souvenirs, Gimmicks wie die Maßkrugmanschette und vieles mehr. Dass die Münchner Hotels und Gaststätten sich mit rund 6 Millionen Wiesn-Besuchern über satte Einnahmen freuen können muss ja nicht extra betont werden. Kurzum: Das Oktoberfest ist ein Wirtschaftsfaktor und ein Wirtschaftsförderer – Produktideen werden hier geboren, Startup-Unternehmen gegründet und Anbieter von Nischenprodukten finden hier eine Plattform. Ohne die starke Identifizierung mit der Marke „Oktoberfest“ wäre das undenkbar!


Mit dem iPad auf die Wiesn

Sehen und gesehen werden: das war bei vielen Gästen 1810 sicher schon der Grund für den Besuch, die regelmäßigen Berichte der Boulevardpresse und die Sondersendungen im Fernsehen verstärken diesen Trend rund 200 Jahre später natürlich noch – er gipfelt in wenig schmeichelhaften Auftritten internationaler Berühmtheiten, die für Prosecco in Dosen und ein bißchen PR alles tun. Die Spieler vom FC Bayern trifft man im Winzerer Fähndl, Jürgen Drews im Käfer und im Hippodrom, die Bussi-Bussi-Gesellschaft prostet sich im Weinzelt oder beim Schichtl zu, in ist wer drin ist! Der normale Wiesn-Besucher ist da keine Ausnahme: Eine Fahrt im Riesenrad wird schnell mit dem Handy gefilmt, das Video bei Youtube hochgeladen. Der ergatterte Sitzplatz wird als Tweet verschickt und bei fourspuare noch vor der ersten Maß im Zelt eingecheckt. Das Foto mit dem Lebkuchenherz in der Hand vor der Bavaria für facebook ist ohnehin Standard. Auf dem Oktoberfest trifft man die unterschiedlichsten Menschen – das erlaubt einen schönen Einblick in die Welt des Nutzungsverhaltens der mobile devices: Wie viele Tablet-PCs werden heuer stolz im Filz-Bambi-Look präsentiert, wer hat sich das iPhone 5 schon bestellt? Eine App gehört natürlich auch auf jedes Smartphone und die Auswahl ist riesig. Zu den beliebtesten Inhalten gehören interaktive Lagepläne, Bayrischsprachkurse und der Promilletest. Bleibt nur zu hoffen, dass das mobile Netz auch mitspielt – sonst müssen zum Zeitvertreib doch wieder Vogelpfeiferl und Spielkarten herhalten.


Networking am Biertisch – ein Erfolgsmodell

Das kann man zuhause auch haben? Sogar bequemer und billiger? Richtig. Aber der größte USP, den das Oktoberfest hat, ist seine Networking-Funktion! Selten ist die Gelegenheit, mit Kunden, Kollegen und Banknachbarn aus aller Welt so schnell und intensiv in Kontakt zu kommen! Da gab es zum Beispiel ein ergrautes Ehepaar im Löwenbräu-Festzelt, das schon 1980 im Zelt saß und erzählen kann, was bei dem Attentat damals genau passiert ist – oder die IT-Spezialisten aus Jersey, neben denen man zufällig in der Bräurosl einen Platz ergattert – meine Liste der unglaublichen Begegnungen könnte ich ewig weiterführen! Firmen haben das natürlich schon längst für sich entdeckt – die ausgebuchten Boxen und Galerien beweisen das. Welche Geschäfte zwischen Hendl und Zuckerwatte hier per Handschlag besiegelt werden kann nur spekuliert werden, aber sicher ist: Wer einen gemeinsamen Abend auf dem Oktoberfest verbracht hat und gemeinsam zu einem Wiesn-Hit geschunkelt hat, den verbindet danach etwas ganz besonderes!

 

2 Kommentare
  1. Michael Kausch says:

    Jetzt muss ich mich wohl outen: Ich hasse die Wiesn!
    Und dem Gedanken „Wer … gemeinsam zu einem Wiesn-Hit geschunkelt hat, den verbindet danach etwas ganz besonderes!“ kann ich für meinePerson gar nix erfreuliches abgewinnen.
    Vielleicht liegt’s ja daran, dass ich zu lange oben auf der Schwanthalerhöh gewohnt habe und jeden Abend über die besoffenen Italiener, Japaner und andere Dirndlträger steigen musste, um zur Haustür zu gelangen. Da trat man in manches, aber in nichts, was man mit schönen Erinnerungen verbinden könnte. Vielleicht liegt’s aber auch dran, dass mein Bedarf an Bajuwarismen mit Schorsch & de Bagasch, den Biermöseln und natürlich Herbert Achternbusch hinlänglich befriedigt ist. Zu Letzterem und der Wiesn sei dieser Link wärmstens empfohlen: https://www.youtube.com/watch?v=C01Iah_IRxE&feature=player_detailpage. Trotzdem wünsch ich natürlich allen die wo’s mögen eine schöne Wiesn. Und eine friedliche, wie der Christian Ude immer noch ergänzend vermerkt.

  2. Michael Höppner says:

    Das Dumme an der Wiesn ist: sie skaliert nicht. Drum haben wir diese Probleme mit den Reservierungen, mit den Plätzen die man nicht kriegt. Warum nicht zwei, drei Zelte mehr? Tegernseer, Weihenstephan, Schneider, Kaltenberg – es gibt ja durchaus Kandidaten, die nicht weniger Münchnerisch sind als inbev.
    Vielleicht kriegen wir ja bald einen neuen Anstecher, und neue Regeln…

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