Peinlicher offener Brief von 51 Tatort-Autoren und Netz-Schimanskis zum Urheberrecht – Verurteilung ohne Ermittlung!
„Tatort Internet“ einmal anders: 51 Tatort-Autoren beklagen in einem offenen Brief an die „liebe Netzgemeinde“, die Grünen, die Piraten und die Linke deren zahlreiche Angriffe auf das Urheberrecht. Darin wehren sie sich insbesondere gegen die von einigen geplante Verkürzung der Schutzfrist von bislang 70 Jahren ab Tod des Autors, aber auch ganz allgemein gegen Vorwürfe an die GEMA und die Musikindustrie. Sie beklagen, dass die Kritiker der derzeit gültigen Urheberrechtssituation sich nicht mit Autoren und Künstlern zusammensetzten und eine „demagogische Gleichsetzung von frei und kostenfrei“ betreiben würden.
Der Brief vermengt die Diskussion um eine Reform des Urheberrechts mit der Diskussion um Vorratsdatenspeicherung und überhaupt viele Dinge, die nichts miteinander zu tun haben. Er pauschaliert und wirft alle Kritiker des heute gültigen Urheberrechts, „die Grünen, Piraten und Netzpolitiker aller Parteien„, in einen großen Topf.
Die Krimi-Autoren haben mit diesem Brief viel Staub aufgewirbelt und mit Polemik und Pauschalierungen eine vernünftige Debatte um eine Modernisierung des Urheberrechts eher erschwert.
Ihre zum Ende des Briefes erklärte Diskussionsbereitschaft negieren sie wenige Zeilen vorher mit der Bemerkung „Fakt ist, dass die Urheberrechte in der Bundesrepublik nicht nur durch die Verfassung, sondern auch durch zahllose, völkerrechtlich verbindliche Verträge auch innerhalb der EU ultimativ verbrieft sind. Dass dieses Grundrecht aktuell zur politischen Disposition stünde, gehört zu den liebevoll gehegten Lebenslügen der Netzgemeinde.“
Über die Ausgestaltung von Grundrechten zu reden ist niemals eine Lebenslüge. Was die Briefverfasser fordern, ist ein Denk- und Diskussionsverbot. Und wer zynisch und ironisch formuliert „Für konstruktive Gespräche über den anstehenden historischen Kompromiss zwischen Urhebern und Usern stehen wir jederzeit bereit“, dem kann man eine offene Geprächskultur und Diskursbereitschaft auch nicht wirklich unterstellen.
Dabei tut diese Debatte not. Der Schutz der Urheber- und Verwertungsrechte muss dringend synchronisiert werden mit den neuen Möglichkeiten der künstlerischen Bearbeitung von geschützten Werken, der Publikation von Datenbanken und Datenbeständen, den neuen Formen von Informationsgenerierung, der Redefinition der öffentlich-rechtlichen Sender. Ich plädiere zum Beispiel entschieden dafür öffentlich-rechtlich produzierte Informationen (also keine Tatort-Filme) unter Public License zu stellen, Datenbanken und Sammelwerke aus dem Kanon geschützter Werke auszugliedern, Schutzfristen zu verkürzen, klare Rechte zur nicht-kommerziellen Bearbeitung geschützter Werke zu definieren, die Rechte der Autoren gegenüber Sendern und Verlagen auf dem Gebiet der Wiederverwendung zu stärken und die Rechte der Autoren auf Rücknahme der Vergabe von Nutzungsrechten auszubauen. Insbesondere die letzten beiden Forderungen würden nebenbei auch die ökonomische Situation von Tatort-Autoren stärken. Solche Themen werden heute in der „Netzgemeinde“ diskutiert, von den Verfassern und Unterzeichnern des offenen Briefes aber gar nicht zur Kenntnis genommen.
Und ich kann auch nicht einsehen, dass das nicht-kommerzielle Fotografieren und Online-Stellen von architektonisch spannenden Bauwerken ohne Rücksprache mit dem Architekten heute faktisch juristisch verboten ist. 99,999 Prozent aller heute im Internet publizierten Amateuraufnahmen der Pyramide des Pariser Louvre sind vermutlich illegal und die Fotografen könnten jederzeit verklagt werden. Das kann doch nicht gesellschaftlich gewünscht sein. Angesichts der aktuellen Debatte um ACTA muss auch der Schutz der Zitationsrechte neu formuliert werden und es sind der ausufernden Privatisierung der Rechtsdurchsetzung durch Hoster und Registrare endlich Schranken zu setzen.
Es wäre besser gewesen, die Tatort-Autoren hätten erstmal ermittelt und nicht gleich verurteilt und zugeschlagen.
Soviel Polemik muss dokumentiert werden. Hier also der komplette Text der Netz-Schimanskis:
Offener Brief von 51 Tatort-Autoren
29. März 2012 – 14:11
Liebe Grüne, liebe Piraten, liebe Linke, liebe Netzgemeinde!
Wir Unterzeichner erkennen an, dass Sie alle sich eines veritablen Problems annehmen wollen, das die zwei großen, am Internet hängenden „Parteien“ betrifft: Die schlechte Lage der Urheber, ihre unangemessene Vergütung und die millionenfache illegale Nutzung von urheberrechtlich geschützten Inhalten auf der einen Seite, 600.000 Abmahnungen von Usern und die Möglichkeit von Netzsperren und (anlassloser) Vorratsdatenspeicherung, die Sie gerne Zensur nennen, auf der anderen Seite.
Wenn Sie dieses tatsächliche Dilemma aber ernsthaft lösen (helfen) wollen, ist es an der Zeit, sich von ein paar Lebenslügen zu verabschieden.
Grüne Politiker untermauern das aktuelle Problem üblicherweise durch die Gegenüberstel-lung zweier Grund- und Menschenrechte: Der Artikel 27 der Menschenrechte postuliere einerseits den Schutz des Urhebers als Eigentümer seiner Schöpfung, seiner Werke, andererseits würde der freie Zugang zu Kunst und Kultur garantiert. Diese dramatische Gegenüberstellung enthält aber gleich zwei Lebenslügen:
1. Die demagogische Suggestion, es gäbe keinen freien Zugang zu Kunst und Kultur mehr – eine Behauptung, die durch nichts bewiesen wird. Was auch schwer fallen dürfte: die Bundesrepublik, die westliche Welt hat in über 100 Jahren ein definiertes, klares System verschiedener Nutzungsarten und Zugänge herausgebildet.
2. Die demagogische Gleichsetzung von frei und kostenfrei. Die Menschenrechte garantieren in der Tat einen freien, aber doch keinen kostenfreien Zugang zu Kunst und Kultur. Diese politische Verkürzung von Grünen, Piraten, Linken und Netzgemeinde dient lediglich der Aufwertung der User-Interessen, deren Umsonstkultur so in den Rang eines Grundrechtes gehievt werden soll.
Wie überhaupt der ganze Diskurs über das Netz und seine User einen hohen Ton anschlägt und damit die Banalität von Rechtsverstößen kaschiert oder gar zum Freiheitsakt hochjazzt. Die Grundrechte der Urheber bzw. der von ihnen beauftragten Rechteinhaber aber werden dagegen marginalisiert: Zum Beispiel das Grundrecht auf geistiges Eigentum. Dieses Recht wird nicht nur frontal angegriffen und infrage gestellt, neuerdings schicken gerade die Grü-nen gerne von Google alimentierte Initiativen wie collaboratory, Alexander-von-Humboldt-Institut oder auch das (vormalige) Max-Plank-Institut für geistiges Eigentum vor, die angeblich völlig autonom und unabhängig eine neue Rechtsgrundlage suchen würden – im sogenannten Immaterialgüter-Recht.
Fakt ist, dass die Urheberrechte in der Bundesrepublik nicht nur durch die Verfassung, sondern auch durch zahllose, völkerrechtlich verbindliche Verträge auch innerhalb der EU ultimativ verbrieft sind. Dass dieses Grundrecht aktuell zur politischen Disposition stünde, gehört zu den liebevoll gehegten Lebenslügen der Netzgemeinde.
Und noch eine Lebenslüge, die allerdings typisch geworden ist für die Berliner Republik: der Ausweg in die Symbolpolitik. Das Beispiel hierfür sind hier die Schutzfristen, mit denen die Urheber bzw. ihre Nachfahren von dem eigenen Werk profitieren können. Zur Zeit sind das 70 Jahre post mortem, die Netzgemeinde fordert radikale Verkürzungen, gern auch mal „Modernisierung“ genannt. Dabei reichen die Forderungen von „gar keine Schutzfrist“, einer 5-Jahresfrist nach Veröffentlichung des Werkes, die letzte Forderung der Grünen lautet: „Solange der Urheber lebt“, andere Netzinitiativen nennen 20 Jahre post mortem.
Mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass nirgendwo eine Argumentation versucht wird, warum gerade diese Eigentumsform überhaupt eine Einschränkung erfahren darf, ist dieser Vorschlag zur Lösung des o.g. Dilemmas völlig ungeeignet. Nicht nur, dass die Urheber durch diese Schutzfristen-Verkürzung enteignet und damit dramatisch schlechter gestellt würden, nein, dieser Vorschlag ändert auch kein bisschen an den Interessen der vermeintlich unschuldigen User: Ihre illegalen Downloads oder Streamings betreffen in der Masse nur die allerallerneuesten Filme, Musiken, Bücher, Fotos und Designs – und nicht etwa Werke, die 20, 40 oder 60 Jahre alt sind. Eine Verkürzung der Schutzfristen würde an diesem Problem also nichts ändern, wäre reine Symbolpolitik: Schaut her, wir haben den Urhebern auch was weggenommen…
Die vermutlich gravierendste Lebenslüge der selbsternannten Problemlöser zum Schluss: Wenn man Urheber und User besser stellen will, braucht es ja einen, der diesen Alle-haben-alle-wieder-lieb-Kompromiss, der den Kram bezahlt – denn wie in allem, was hergestellt wird, steckt auch im „Content“ verdammt viel Arbeit von Urhebern und kostet deshalb auch Geld, das irgend jemand bezahlen muss. Diesen omnipotenten Zahler kennt die Netzge-meinde auch schon ganz genau: Nein, nicht Google, youtube und die anderen Internetserviceprovider, die sich dumm und dämlich daran verdienen, illegale Kontakte zu vermitteln, den kriminellen Modellen wie kino.to, megaupload, the Pirate Bay etc. überhaupt zum Erfolg zu verhelfen. Nein, für die Grünen, Piraten und Netzpolitiker aller Parteien ist der große Übeltäter die Verwertungsindustrie: Sony, Universal, Bertelsmann und, ganz wichtig, natürlich die GEMA und die anderen Verwertungsgesellschaften. Das sind in ihren Augen die Blutsauger, die sollen die Zeche zahlen.
Mal davon abgesehen, dass die selbsternannten Digital Natives (auch) über diesen Punkt nie direkt mit den betroffenen Urhebern gesprochen haben, sie haben überhaupt nicht verstehen oder begreifen wollen, dass bis auf Maler und Bildende Künstler diese Trennung in Ur-heber und „böse“ Verwerter überhaupt keinen Sinn macht, ja unmöglich ist: Filme, Musikproduktionen, web- und Werbekampagnen, Architektur- und Designprodukte werden überhaupt erst realisiert, wenn die künstlerischen Ideen der Urheber mit Kapital und Vermarktungsknowhow zusammenkommen.
Wenn die Grünen, Piraten, die Netzpolitiker aller Parteien es mit den Urhebern also wirklich ernst meinen, dann sollten sie zunächst mal mit ihren eigenen Kulturpolitikern sprechen: Die können ihnen den Zusammenhang von Kunst/Kultur und materieller Absicherung sicher erläutern, ihnen klar machen, dass die nachhaltige Produktion qualitativ hochwertiger Kunst und Kultur nicht amateurhaft, also wie Wikipedia organisiert werden kann. Immerhin leben hunderttausende Menschen von kreativer Arbeit und helfen mit ihren (konkurrenzfähigen) Werken, die ideelle und materielle Zukunft einer postindustriellen Bundesrepublik auch international zu sichern.
Wenn man die Lage der Urheber nachhaltig verbessern will, dann müssten also alle politi-schen Kräfte den Urhebern bzw. ihren Verbänden helfen, das Urhebervertragsrecht zu verbessern, die Verhandlungspositionen der Urheber gegenüber den Verwertern zu stärken: Mit Hilfe verbindlicher Regelungen zu den Gemeinsamen Vergütungsregeln (GVR) oder mit einem Verbandsklagerecht, oder, oder…
Vor allen Dingen sollten die Netzpolitiker aller Parteien die Finger von den Schutzfristen lassen, und bitte nicht jede Missbrauchskontrolle bei Providern und Usern gleich als den definitiven Untergang des Abendlandes anprangern: Bei der Suche nach Schwarzfahrern und Steuerhinterziehern zum Beispiel, müssen sich die Bürger auch einige Einschränkungen ihrer Rechte gefallen lassen.
Für konstruktive Gespräche über den anstehenden historischen Kompromiss zwischen Urhebern und Usern stehen wir jederzeit bereit.
Mit freundlichen Grüßen
Urs Aebersold
Feo Aladag
Miguel Alexandre
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Knut Boeser
Katrin Bühlig
Fred Breinersdorfer
Leonie-Claire Breinersdorfer
Stefan Cantz + Jan Hinter
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Jochen Greve
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Peter Zingler
29. März 2012
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www.drehbuchautoren.de
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