re:publica die Dritte und Fazit: Eine „Pull-Konferenz“
Meine erste re:publica war vorbei und es regnete in Berlin; der Zug zurück nach München bot dann die Gelegenheit, Internet-Verbindung vorausgesetzt, die ersten Resumées zu lesen und den eigenen Eindruck zu vervollständigen. Zeit also, nach einem kurzen Blick auf meinen letzten Konferenztag, selbst ein Fazit zu ziehen und die Eindrücke der „größten Internetmesse Deutschlands“ (ARD Morgenmagazin, zitiert aus der Abschlusspräsentation) sacken zu lassen.
Auch der letzte Tag bot einiges an spannenden Sessions und erstaunlich das nicht nachlassende Engagement der Teilnehmer und Referenten. Auch wenn die Koffer- und Rucksackdichte erheblich zunahm, so waren die Sessions bis zum Schluss voll. Nachdem mein morgendliches „Konferenzbloggen“, wie immer, mehr Zeit in Anspruch nahm als geplant, war ich wieder gegen Mittag in der Station. Was sich insofern relativiert, als dass das Konferenzprogramm erst um 10.00 Uhr losgeht.
Ich startete wieder mit einem für die re:publica etwas abseitigem Thema, nämlich „Überlegungen zu einer Medientheorie des Papiers“. Referent war Lothar Müller, preisgekrönter Feuilleton-Redakteur in Berlin der Süddeutschen Zeitung, und Autor des Buches „Weiße Magie – die Epoche des Papiers“. Wie in einer Vorlesung zauberte er augenzwinkernd ein weißes, unbeschriebenes Blatt DIN A4 Papier aus seiner Aktentasche, anhand dessen er die Historie dieses Mediums und seinen auf vielerlei Vorzügen basierenden Erfolg beschrieb. Die „Süddeutsche“ durfte natürlich als Beispiel für eine Zeitung nicht fehlen. Sein Fazit: weil Papier so flexibel einsetzbar ist, wird es auf jeden Fall die nächsten fünf bis zehn Jahre noch dominieren. Dafür gab es sogar freundlichen Applaus.
„Web-Promis“ kein Garant für eine erfolgreiche Session
Meine nächsten beiden Session-Versuche waren nach meinem Eindruck leider nicht von Erfolg gekrönt: Wie das Internet literarisches Schreiben verändert mit Fréderic Valin, Ex-Spreeblick-Autor, und Taubenvergrämer Fitz. Beide brauchten für mich leider zu lange, auf jeden Fall mehr als eine halbe Stunde bis zu meinem Verschwinden aus dem Saal, um auf die eigentliche Fragestellung zu kommen. Da mich die Geduld verließ – zu früh, wie mir Teilnehmer dieser Session anschließend berichteten – wandte ich mich den „Digital Natives, die in den Krieg ziehen“ zu. Der Bendlerblogger und Thomas Wiegold stellten bei meinem Eintritt in den Saal gerade das Skandalvideo der Bundeswehr vor, das wegen angeblich fehlender Sprachunterlegung von der Bundesregierung aus dem Verkehr gezogen wurde; gleich danach folgte ein Video mit einem Weihnachtstier vor militärischem Material in Afghanistan und danach das Video, das Marines zeigt, die einen parallel eingeblendeten Cheerleader-Tanzgesang nachstellen. Da die Zwischenkommentare der Moderatoren lediglich mehrmals von „Selbstbild“ sprachen, wie gesagt in der Zeit, als ich anwesend war, aber sonst offenbar nicht weiter kommentierten, gönnte ich mir schon die erste Kaffeepause des Tages. Details und die Präsentation befinden sich hier bei augengeradeaus.net
Faszination #openjournalism und #ironblogger
Danach folgte mein erster Erfolg des Tages: die Session über Nutzen und Risiken von #openjournalism. In einem dichten und engagierten Vortrag erklärte Daniel Bröckerhoff, Journalist, TV-Reporter und Autor, vornehmlich anhand von Beispielen des englischen Guardian, was openjournalism ist. Schön an dem Vortrag war, dass er durchsetzt war mit eigenen Erfahrungen des Autors. Zudem ging er auch darauf ein, wo die Schwierigkeiten des openjournalism liegen, z.B. wenn es um die von Redaktionen oft geforderte „Exklusivität“ geht. Sein Vortrag befindet sich auf seinem Blog.
Der letzte Vortrag, den ich besuchte, beschäftigte sich damit, wie man sich motivieren kann, sich mehr um seinen eigenen Blog zu kümmern. Unter dem Stichwort #ironblogger verpflichten sich die Teilnehmer, mindestens einen Post pro Woche zu produzieren. Die soziale Strafe wenn man das nicht schafft, besteht darin, fünf Euro in die Gemeinschaftskasse zu zahlen, von denen dann das Bier bei lokalen Treffen bezahlt wird. Was zunächst nur lustig klingt, ist eigentlch ein ernsthafter Ansatz, Blogger aus einer Region auch im Real-Life zusammenzubringen. Nachdem ein Kiste Freibier schnell verteilt war, hörte man von den Erfahrungen der #ironblogger aus ganz Deutschland, die sich erstmals auf re:publica trafen. Dabei wurde schnell klar, dass es nicht nur um das Biertrinken geht, sondern auch darum sich auszutauschen und auch darüber zu diskutieren, die Gemeinschaftskasse nicht auszutrinken, sondern zu spenden. Natürlich beschäftigen auch die #ironblogger Technikthemen, wie z.B. die Einrichtung einer virtuellen Gemeinschaftskasse. Ein interessanter und unterhaltsamer Ansatz, der unter dem Motto „Blogs und Bier? Das lob ich mir.“ nur unzureichend beschrieben ist.
Danach ging es noch kurz zur Bühne zwei, um „The Big Three“ der Online-Medienmarken zu erleben. Die Chefredakteure von Zeit online, Jochen Wegner, Spiegel online, Katharina Borchert, und sueddeutsche.de, Stefan Plöchinger, diskutierten zum Thema „Digital Natives im Journalismus“. Als ich dazustieß, ging es wieder um die altbekannten Dispute: dem Zusammenhang zwischen Print- und Online-Redaktion, den Bezahlmodellen im Netz und der zugegebenermaßen spannenden Frage, warum bei Jungjournalisten „Print“ immer noch das Ziel der Träume ist. Auch das Feedback aus dem Publikum zeigte, dass Unsicherheit bei Redakteuren und Lesern in bezug auf die Medienmarken besteht und die meisten Fragen nach wie vor offen sind. Mich verwunderte vor allem die Einigkeit der Drei auf dem Podium – wahrscheinlich eint sie, dass sie alle vor den gleichen Herausforderungen stehen; die Frage, ob bzw. wie sich Zeit, Spiegel und Süddeutsche online differenzieren können (besser gesagt, sich Nutzer abspenstig machen können) wurde nicht gestellt. Ein längerer Artikel zu der Diskussion befindet sich auf kress.de.
Den Afrika-Schwerpunkt der diesjährigen re:publica habe ich übrigens nicht genutzt, eine Zusammenfassung mit Fokus darauf findet sich bei FM4.
Ende gut – alles sehr gut!
Zum Schluss ging es wieder in Stage 1, um dort Ai Weiwei zuzuhören, der der re:publica ein Video-Interview zukommen ließ. Allerdings muss ich zugeben, dass ich nicht mehr konzentriert genug war, den eingeblendeten Fragen und den holprigen englischen Antworten von Herrn Ai so zu folgen, dass ich eine Zusammenfassung hier wiedergeben könnte. Aus diesem Grund sei direkt auf das Interview bei YouTube verwiesen.
Nach einer kurzen Pause erfolgte dann die große Verabschiedung, erstaunlich für derart umfangreiche Konferenzen, dass selbst dazu nochmal die Halle von den Besuchern geflutet wurde. Nach einer kurzen Präsentation der unvermeidlichen Statistiken (Bier, WLAN-Verbrauch, benutzte Endgeräte) erwiesen Organisatoren, Helfer und Teilnehmer sich gegenseitig die Referenz durch gemeinsames Absingen des Queen-Klasslikers Bohemian Rhapsody aus dem Jahr 1975 – dem Jahr übrigens, so schätze ich, dass das Geburtsjahr des durchschnittlichen re:publica Teilnehmers sein dürfte. Für ein bisschen Gänsehaut-Feeling hier das Video von Simon Kowalewski:
Die ersten Resumées bestätigen meinen Eindruck von der re:publica: abwechslungsreich, interessant, kommunikativ, nachhaltig. Wer von diesem „Ereignis“ (Selbstbeschreibung auf dem Einlassbändchen) nichts mitgenommen hat, ist wirklich selbst schuld.
Wer die Konferenz nachlesen oder nachschauen will, dem seien noch drei Angebote ans Herz gelegt: Die Deutsche Journalistenschule aus München hatte eine komplette Klasse nach Berlin abgeordnet, die einen Echtzeit-Konferenzband als eBook produzierte, der jeweils am nächsten Morgen bis 12 Uhr als kostenloser Download zur Verfügung stand. Das, was man auf anderen Veranstaltungen „Tagungsband“ nennt, kostet nun bei epubli nur 2,99 Euro pro Tag.
Michael Kreil vom „Zentrum für Datennutz“ hat sich die Mühe gemacht, den Sessionplan mit den Videos der Veranstaltungen zu verlinken. So findet man leicht, was man sucht. Danke!
Und Pia Kleine Wiesekamp hat auf einem Pinterest Board Bilder der re:publica gesammelt, die unter dem Hashtag #rpstory13 gepostet wurden. Viel Spaß beim anschauen!
Nun, ein paar Tage nach der Veranstaltung, würde ich mein Fazit so beschreiben: bei der re:publica handelt es sich um eine „Pull-Konferenz“ – jeder Teilnehmer kommt aus Eigeninteresse und ist daran interessiert, das meiste für sich aus der Konferenz herauszuziehen. Dabei entscheidet er individuell, was für ihn wichtig ist: Networking, Themenvorträge, Promis, Abseitiges & Exotisches oder Engagiertes. Deshalb entsteht auch das spezielle Feeling. Anders als bei vielen Konferenzen, die ich sonst kenne, wo es sich um reine „Push-Events“ handelt. Da wird man hingeschickt oder muss hingehen, und dann bekommt man ganz viele Powerpoint-Folien reingedrückt, da der Veranstalter oder Präsentator ja etwas verkaufen will.
Insofern muss man hoffen, dass es den Veranstaltern gelingt, den Einfluss der Marketing oder Business nicht zu groß werden zu lassen – es wäre schade um den „re:publica spirit“. Den will ich nämlich 2014 wieder erleben.
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[…] Fazit meiner ersten re:publica lässt sich dem Zufolge auf der Webseite meines Arbeitgebers, der PR-…, nachlesen. Damals habe ich tatsächlich noch den Anspruch gehabt, tageweise meine Resumees zu […]
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