re:publica Tag 2 handelt von Journalisten, Arbeitslosen, Bratwürsten und Künstlern

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re:publica 13 Zusammenfassend kann ich festhalten, dass der gestrige Tag ein guter war: Ich hatte das Glück eine Session-Auswahl mit guten Referenten, engagierten Moderatoren und abwechslungsreichen Themen zu treffen. Lesern sei mitgeteilt, dass es gar nicht so leicht ist eine Auswahl zu treffen, da oft bis zu 15 Sessions parallel stattfinden, die sich teilweise zeitlich überlappen. Zwar hilft die laufend aktualisierte App bei der Auswahl, aber die nunmehr zweitägige Erfahrung zeigt, dass weder Prominenz der Referenten noch das vermeintlich spannende Thema Garantie für einen guten Vortrag oder Workshop sind. Wieder zeigt sich: die wirklichen Perlen liegen oft am Rande.

Das Leben und Arbeiten der digitalen Boheme auf der #rp13

Das Leben und Arbeiten der digitalen Boheme auf der #rp13

Erklärt ist damit auch, warum sich der „klassische Journalismus“ schwer tut, die Veranstaltung in ihrer ganzen Fülle zu erfassen: weil das gar nicht gehen kann, wenn man auf den beschränkten Platz einer Print-Zeitung, eine vorgegebene Sendezeit oder auch den definierten Umfang eines Online-Artikels angewiesen ist. Zudem kommt natürlich hinzu, dass kein  Verlag es sich leistet (leisten kann oder will?), mehrere Reporter über drei Tage nach Berlin zu schicken. (Diese Anmerkung gilt übrigens nicht nur für die re:publica, sondern für alle anderen Veranstaltung gleicher Größenordnung.) Durchaus ehrenwert sind die Versuche, die Berichterstattung durch die „neuen Medien“ zu ergänzen: So hat die Süddeutsche Zeitung offenbar noch zwei (Jung?-) Journalisten (?) nach Berlin beordert, die dort im Blogformat mit ihren Eindrücken die Berichterstattung ergänzen. Auch scheint sich der Spiegel-Online-Reporter die ganze Zeit in Berlin aufzuhalten.

Auch der Verlagsjournalismus nutzt Ehrenamt und Spenden

Zu Beginn meines gestrigen Tages stand also der Journalismus im Mittelpunkt – und die Vorträge lieferten praktisch auch die Belege für meine obigen Thesen. In meiner ersten Session mit dem Titel Investigation 2.0 haben Stephanie Hankey und Marek Tuszinsky von tacticaltech.org vorgestellt, wie ehrenamtliche Helfer mittlerweile den Journalismus (und Verlage!) unterstützen. Sie tun das, in dem sie Daten aus frei zugänglichen Quellen im Internet analysieren, strukturieren und aufbereiten. Faszinierendes Beispiel dafür ist ein Arbeitsloser aus England, der sich innerhalb von zwei Jahren, quasi als „Hobby“, zum Waffenspezialisten weitergebildet hat und nun im Internet Bilder und Videos aus Syrien analysiert. Die Ergebnisse veröffentlicht er frei zugänglich in seinem Blog. Selbst renommierte Zeitung wie die New York Times greifen mittlerweile für ihre Artikel auf seine Ergebnisse zurück – ohne dafür zu bezahlen (!!!), denn sie stehen ja frei zur Verfügung. Weitere Beispiele waren die Dokumentation amerikanischer Drohnenangriffe auf Pakistan in einer eindrucksvollen (und bedrückenden) Visualisierung sowie die Darstellung des Firmengeflechts des rumänischen Pferdefleischhändlers im Mittelpunkt des „Lasagne-Skandals“. Tacticaltech.org wird übrigens offenbar nur aus Spenden finanziert.

Praktisch, dass die folgende Session im gleiche Saal stattfand – auch wenn der Titel „News you can’t print“ in mir andere Erwartungen weckte. Es ging nicht um die Story hinter der Story, wie ich vermutete, sondern darum, dass mit dem Internet, seinem Datenüberfluss und Multimedia-Fähigkeiten, Informationen zur Verfügung stehen, die sich in einer statischen Zeitung nicht mehr abbilden lassen. Die Frage also, wie kann man Daten, auf die man zugreifen darf, weiterverarbeiten und darstellen, ohne, dass sie durch die statische Wiedergabe ihren Wert verlieren. Mit dem Transparenz- und Servicegedanken geht es dabei auch darum, den Journalismus für den einzelnen relevanter zu machen, also etwa durch das Angebot individueller Suchmöglichkeiten, die Ergebnisse auf den eigenen Lebensbereich einzuschränken. Die beiden Referenten, Anabel Church und Friedrich Lindenberg, arbeiten derzeit übrigens bei Zeit online bzw. Spiegel online, um nach eigenen Aussagen, den Redaktionen zu helfen, neue Formen des Storytelling zu lernen – und dabei alle möglichen Informationen und Daten einzubinden. Auch dafür zahlen die Verlage übrigens nicht, denn die beiden sind zehn Monate von der Knight Foundation im Rahmen des Knight-Mozilla OpenNews Program an die deutschen Redaktionen „ausgeliehen“.

Vorstellung von Lobbyplag: Im Mittelpunkt: der EU-Parlamentarier

Vorstellung von Lobbyplag: Im Mittelpunkt: der EU-Parlamentarier

Dass Verlage wirklich Innovationen brauchen und Journalismus neu gedacht werden muss, bewies auch das Zitat in meiner folgenden Session über LobbyPlag, die Plattform, auf der erstmals nachgewiesen wurde, wie Abgeordnete des EU-Parlaments für Gesetzesformulierungen einfach Vorschläge von Lobbyisten kopieren. Auf die Frage nach der Medienresonanz antwortete der Referent Marco Maas, die häufigste von Journalisten gestellt Frage sei die nach den zehn größten Kopierern unter den EU-Abgeordneten gewesen – typische Journalistenfrage eben; zum Glück wurde sie nicht beantwortet. Aber auch bei Marco Maas herrscht Erstaunen darüber, dass das Interesse oder gar die Unterstützung von Medien für das Projekt eher gering ausfiel. Dabei ist der Aufwand dafür erheblich.  An die Daten muss man erstmal kommen, dann müssen sie maschinenlesbar gemacht und strukturiert werden, damit sie anschließend durchsucht und analysiert werden können. Ein erheblicher Aufwand, der ebenso engagierte wie gute Programmierer erfordert. Auffallend in dem Vortrag auch die Zurückhaltung bei der Verurteilung von Abgeordneten oder der Stoßrichtung des Projektes. Mehrfach betonte er, dass es sich um ein offenes Projekt handelt, dass natürlich auch Abgeordneten und Lobbyorganisationen offen steht, um die Erkenntnisse zu nutzen. Es geht also darum, Fakten herauszufinden – die Bewertung und Weiterverarbeitung findet aber (fast) nicht statt. Auch wurde klar herausgestellt, dass Lobbyismus, als Interessenvertretung, im Rahmen der Gesetzgebung nichts ‚per se‘ Schlechtes ist. Hinweis von Marco: „Auch die Bürger könnten doch mal Lobbyarbeit machen.“ Eine ausführlich Beschreibung von Lobbyplag liefert @gutjahr, der das projekt mitinitiert hat, auf seinem Blog.

PhysikerInnen, Hackerinnen, Künstlerinnen und Bratwürste

Aus Brüssel ging es dann für mich direkt in die Teilchenphysik. Drei Mitarbeiter des DESY in Hamburg erklärten einem großen Saal, was es mit dem „Gottesteilchen“ auf sich hat, dem Higgs-Teilchen, das letztes Jahr gefunden wurde, nachdem seit den 1960er Jahren schon theoretisch bewiesen worden war. Eine sehr sympathische Runde aus zwei Physikerinnen und einem Physiker, die sichtlich bemüht waren, die komplexen und nur schwer vorstellbaren Zusammenhänge einfach, klar und richtig anhand bildlicher Vergleiche zu erklären. Aufwändige Animationen des CERN haben gezeigt, wie nach Higgs gesucht wird. Einige Lacher und vor allem zahlreiche Fragen aus dem Publikum zeigten, dass ihnen das gelungen ist. Hinzuweisen ist auf die Bemühungen der Forscher, sich für allgemeinverständlich Erklärungen zu öffnen, mit Webseiten wie z.B. auf weltmaschine.de wo der Teilchenbeschleuniger CERN beschrieben wird.

Statt dem Online-Job-Guru mit der gesamten „Internet-Herde“ in seine überfüllte Session zu folgen, begab ich mich zum Lovepicking. Dabei handelt es sich um eine Art „Hack“, bei der aus Liebe an Brücken gekettete Vorhängeschlösser, ohne sie zu beschädigen, geöffnet und in einem neuen Arrangement wieder geschlossen werden. Nachdem Spiegel Online über diese alternative Form des Hacking berichtet hatte, folgte der Initiatorin ein kleiner Shitstorm über die moralische Berechtigung dieses Hackens von Liebesbeweisen – mit allen Facetten, die das Internet zu bieten hat – übrigens vom Publikum auch gut nachgestellt.

re:publica Bratwurst

re:publica Bratwurst

Der Frage „Warum es keine digitalen Bananen gibt“ gingen Agnes Lison und Marcel-André Casasola in ihrem Zwiegespräch nach, das ich anschließend besuchte. Auch wenn der Vortag sehr gut war, waren die Inhalte wohl doch für die meisten anwesenden zu altbekannt und bereits durchdiskutiert. Von daher konnte ich mich dann der Bratwurst widmen – nicht als Abendessen, sondern als Vortrag: „Anwendungsorientierte Analyse volkstümlicher Lebensmittel in der politischen Berichterstattung“, kurz es ging um Politiker, die in Bratwürste beißen. Mit herrlich, trockenem Humor hat Constantin Alexander seine Bildersammlung kommentiert – von Merkel bis Steinbrück, von Horst zu Horst (Seehofer zu Köhler). Am besten selbst ansehen und lachen, dann kommt man schon darauf, dass, „wer Bratwürste isst, die Würde verliert“, wie der Referent zusammenfasste.

Den Abschluss bildete für mich ein Ausflug in die moderne, experimentelle Kunst: „People doing strange things with electricity.“ Schwierig zu beschreiben, wenn eine Künstlerin zu Tönen Licht durch ventilatorähnliche Schablonen schickt.

Schon verständlicher ist die Trennstrickmaschine, die von zwei Kunstschülern entworfen wurde, abgeleitet von der Aufgabenstellung „Kinetik“, zur Assoziation Sisyphus, zur Maschine, die das was sie strickt, selbst wieder auftrennt um damit wieder neu zu stricken.

Und abschließend eine Performance von Aley Murray-Leslie und Melissa Logan, die nach langer Vorrede zum Thema „Was ist Utopia“ in ein entsprechendes Lied mündete – so kam es mir zumindest vor.

Damit war das Programm für heute zu Ende und konnte mit Bier und natürlich Bratwurst an der Refill Bar abgeschlossen werden.

Feiern unter der Brücke an der re:fill Bar der re:publica

Feiern unter der Brücke an der re:fill Bar der re:publica

4 Kommentare
  1. Klaus Römer says:

    Die Frage drängt sich auf, ob die Erkenntisse der re:publica wirklich so zentral und gesellschaftlich relevant sind, dass ein Verlag (oder am Ende gar eine Tageszeitung) es sich leisten sollte, „mehrere Reporter über drei Tage nach Berlin zu schicken“. Würde ich bei NSU vielleicht noch verstehen, aber auch da nur vielleicht….

  2. Markus Pflugbeil says:

    Hallo Klaus Römer, danke für deinen Kommentar.

    Du hast recht, dass ich das missverständlich formuliert habe. Ich wollte damit mehr zum Ausdruck bringen, dass ‚der Journalismus‘ seinem Publikum dann auch mitteilen muss, dass ein einzelner Journalist auch nur einen Ausschnitt zeigen kann. Im schlimmsten Falle wird ja oft von Medien und Medienmachern mittels klischeehaften Bildern oder Statements der Anspruch der vollständigen Abbildung eines derartigen Events erhoben. Daran richtet sich meine Kritik. Schon klar, dass die Relevanz eines Ereignisses auch eine Rolle bei der Ressourcenzuteilung spielt. (Über die Frage, wer, wie die Relevanz bestimmt, kann man dann auch wieder lange diskutieren 😉

    Schöne Grüße
    Markus

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