Von Twitter über Mastodon zu BlueSky und Threads – und zurück?

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Seifenblasen von einem blonden Mädchen, das unscharf im Hintergrund zu erkennen ist.

Terroranschläge, Todesfälle, Tourneestarts, Tore und Turniere, Trash-Stars, Trump – alles was wichtig war, passiert(e) in Echtzeit auf Twitter. Doch schon vor der Übernahme durch den erratischen Milliardär Elon Musk wurde man das Gefühl nicht los, dass sich Twitter vom „Kurznachrichtendienst“, so die Bezeichnung der Tagesschau, zur Propagandaschleuder wandelte. Obwohl ein „Dienst“ in dem Sinne, dass jemand einen Service leistete, war Twitter nie, es gab keine Redaktion und später höchstens Mal sogenannte teilautomatisierte Moderation, um strafrechtlich Relevantes auszufiltern. Es war eigentlich mehr eine unkuratierte „Quellenplattform“ für Nachrichtenjournalisten. Deshalb stellt sich jetzt die Frage nach einem würdigen Nachfolger für Twitter: Mastodon, BlueSky oder Threads, oder doch bei X (vormals Twitter) bleiben.

Es war einmal

Redakteuren bei seriösen und ernst zu nehmenden Medien oblag es bei Tweets, nachzuprüfen, ob das, was Augenzeugen oder Propagandisten übermittelten, der Wahrheit entsprach und danach eventuell eine „echte Meldung“ daraus zu machen. So entstand eine Newsschleuder für alle, die im Nachrichtengeschäft mitmischen: Journalisten, Politiker, CEOs und Unternehmenssprecher, Lobbyverbände, Aktivisten, Pressesprecher und -Stellen von Behörden und Organisationen. Es gab eine Zeit, bevor der Algorithmus dominierend wurde, da habe ich alle Nachrichten schon ein bis zwei Tage vorher erfahren, weil ich die richtige Mischung an Gefolgten in der Twitter-Timeline hatte. Bei Breaking News (aka Terrorismus, Tod, Unfälle) hatte ich immerhin noch ein bis zwei Stunden Vorsprung – dabei steht die Frage, wofür eigentlich, auf einem anderen Blatt; immer verglichen mit traditionellen Medien wie einer Zeitungsredaktion oder den Abendnachrichten im Fernsehen.

Blasenbildung

In dem Maße, in dem der Algorithmus Twitter kuratierte, entstanden die Blasen. Immer mehr vom Gleichen, immer Extremeres vom Gleichen. Warum? Das Ziel: Die Klientel halten so lange wie nur möglich auf der Plattform halten, denn längere Verweildauer verspricht höhere Werbeerlöse. Man drehte sich im Kreis, Aktualität war plötzlich nicht mehr so wichtig, die chronologische individuelle Timeline wurde zurückgedrängt. Zusätzlichen Schwung erhielten die Blasen noch von Trump oder Musk, die mit populistischen Tweets die Stimmung in ihrer Fanbase anheizten und damit dem Algorithmus Beliebtheit vorgaukelten, der dann wieder für eine Vervielfältigung sorgte. Nach der Übernahme von Twitter durch Musk wurde es dann zunehmend unerträglich.

Aus dem Quellendienst war eine Propagandaschleuder geworden. Es wurde immer schwieriger, echte News von Quatsch, Propaganda, Fake News und Lügen zu unterscheiden. Kurz gesagt: Twitter machte keinen Spaß mehr; der Stoff, den wir Nachrichtenjunkies bekamen, fühlte sich gestreckt und verwässert an. Ein schöner Text, der sehr realitätsbezogen dem alten Twitter „nachtrauert“, findet sich hier.

Man bleibt, wo alle sind

Aber: Es waren immer noch alle Wichtigen auf Twitter. Nur Wenige machten sich Anfangs auf den Weg, sich in neue Gefilde zu begeben. Deshalb wurde auf Mastodon und BlueSky nie die kritische Schwelle an Nachrichtenerzeugenden und -Erzählendenüberschritten, die Twitter obsolet machen würde. Dann kam Threads, das auf Basis von Instagram (von Meta), kurzfristig enorme Wachstumsraten hinlegte sowohl als Plattform als auch bei einzelnen Accounts. Für Nachrichtenjunkies war das aber zunächst nichts, denn durch die Kopplung an Insta schwappte nun der schöne Schein der Bilderwelten auch in den neuen Kurznachrichtendienst: Entertainment, oberflächlicher Smalltalk, Fotos im Standardchic, eindeutig zweideutige Posts usw.

Twitter ist vermutlich immer noch öfter zitiert als die neuen Alternativen Threads, BlueSky und Mastodon zusammen. Das liegt daran, dass viele, insbesondere offizielle und halboffizielle Accounts vermutlich gar nicht so schnell wechseln wollen oder können. Insbesondere für große, teilweise auch internationalen Organisationen hat man das Gefühl, dass Twitter als gesetzt und alternativloser Kommunikationskanal gesehen wurde und wird. Twitter ist gelernt, auf Twitter ist man etabliert und weiß, dass wichtige Nachrichten die wichtigen Follower erreichen, die die News in die Medien spülen. Auf den neuen Plattformen gibt es diese Garantie nicht. Und die offizielle Pressemitteilung ist in dieser schnelllebigen Zeit für manche Nachrichten leider zu langsam (oder wird zumindest so empfunden).

Table.Media Redaktion Europe.Table: Deutlich sichtbar das X (früher Twitter) bei allen Redakteuren. LinkedIn und E-Mail als weitere Folge- bzw. Kontaktmöglichkeit. (Quelle: https://table.media/redaktion/)
Table.Media Redaktion Europe.Table: Deutlich sichtbar das X (früher Twitter) bei allen Redakteuren. LinkedIn und E-Mail als weitere Folge- bzw. Kontaktmöglichkeit. (Quelle: https://table.media/redaktion/)

Ich bin eine Twitter-Leiche

Bei vielen Medienorganisationen geben die Redakteure sogar ihre Twitter-Accounts an. Nur selten sieht man, dass dort auf eine alternative Plattform gewechselt wurde. Meistens ist es die Entscheidung des einzelnen Mitarbeiters, auch auf Mastodon, BlueSky oder Threads zu sein.

So bleibt es dabei, dass Twitter für die Entstehung und Verbreitung von Nachrichten nach wie vor wichtig ist, für manche so wichtig, dass sie dort bleiben und auch aktiv sind. Ich selbst bin bei Twitter nur noch eine Karteileiche, die manchmal ein unüberlegtes Like da lässt, wenn ich auf Twitter muss, weil ich dem Link zu einem Tweet folge oder dort einen Account recherchiere.

Schwarz-weiß-Bild eines verwesenden Vogels, der teilweise von Sand überdeckt ist.
Ein totes Pferd reiten, ist wie auf X posten – oder doch nicht…?
(Hommage an den blauen Vogel)

Fediverse oder die Hoffnung auf Besseres

Ein Traum wäre, wenn das Fediverse sich soweit etablieren würde, dass die Ausgangsplattform nicht mehr wichtig ist. Das heißt, dass alle Plattformen so vernetzt sind, dass ich auf meiner Lieblingsplattform auch Nachrichten von den anderen Plattformen empfangen und mit ihnen interagieren kann. Mastodon basiert bereits auf dem Fediverse-Prinzip und auch Threads soll in die Richtung geöffnet werden (basierend auf dem offenen Standard Activity-Pub-Protocol).

Activity Pub Logo
Das Activity-Pub-Protokoll soll als offener Standard die Basis für das Fediverse sein. Senden und Empfangen von Nachrichten (Threads, Tweets, etc.) ist dann aus verschiedenen Plattformen möglich. Threads will das im Sommer 2024 einführen.

Mit der Einrichtung eigener Fediverse-Server bekämen dann Organisationen und Behörden, die sich von den großen US-Plattformen unabhängig machen wollen, die Chance, ihren Mitarbeitern eine selbst gehostete Plattform anzubieten, die den Regularien des jeweiligen Landes und der jeweiligen Organisation entsprechen. Damit würde man sich als Absender unabhängig von den US-Plattformen und ihren exzentrischen CEOs machen und den Empfängern hohe Glaubwürdigkeit vermitteln. Einige Behörden, vor allem aus dem Datenschutzbereich haben diesen Vorteil sehr schnell erkannt und für ihre Behörden eigene Server aufsetzen lassen.

Einfache Bedienung ist ein Muss

Leider stellt sich bei den Social-Media-Plattformen immer die Frage nach der Nutzerzahl und der Einfachheit der Bedienung. Die User sind verwöhnt: Durch einen Wisch von Instagram einen Threads-Account anzulegen, ist halt einfacher, als sich auf einem Mastodon-Server anzumelden, was im Übrigen auch keine Nerd-Kenntnisse erfordert. Es ist auch unkomfortabler bei BlueSky, wo man früher auf einen Einladungscode warten musste; den braucht man mittlerweile auch nicht mehr. Doch schwierige Zugangsbedingungen bringen den Start neuer Plattformen ins Stottern. Das kann soweit gehen, dass sie erst gar nicht richtig auf die Beine kommen.

 

Wahrscheinlich eher Threads

Insofern spiegelt meine Ratlosigkeit wohl auch die Verunsicherung vieler Medienschaffenden in punkto „Kurznachrichtendienste“ wider: Vier vergleichbare Plattformen parallel manuell zu bedienen, das kann es auf Dauer nicht sein. Twitter ganz abzuschalten, das kommt für mich nicht in Frage – noch nicht. Große Sympathien hege ich für Mastodon, das allerdings ohne kritische Größe keine echte Alternative ist. Vielleicht schaffe ich es ja noch bei Threads, mir eine seriöse Timeline anzulegen, die mir das zeigt, was ich will, ohne dabei langweilig oder blasig zu werden. Denn nur bei X zu bleiben, das kann es unter den Voraussetzungen nicht sein.

Als Agentur diskutieren wir derzeit noch, wie es mit unseren Social-Media-Kanälen weiter verfahren: welche Rolle Threads eventuell spielen wird und ob wir Twitter noch aktiv bedienen. Unsere Social-Network-Präsenz fokussiert derzeit auf LinkedIn: dort finden Sie uns mit den Neuigkeiten unserer Kunden und aus der Agentur.

Wer mich sucht, findet mich – aus oben genannten Gründen – mehr oder weniger regelmäßig dort:

Bildnachweise:

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