vibrio wolkenworker – erste Zwischenbilanz der Virtualisierung der Agentur
Vor drei Monaten ist die Agentur vibrio von Unterschleißheim nach München umgezogen. Das ist aber eigentlich gar nicht so wichtig. Wirklich relevant ist die Virtualisierung der Agentur, die mit diesem Umzug einherging, eine Virtualisierung mit weitreichenden Konsequenzen in Organisation, Technik und Selbstverständnis der Agentur. Wir stecken noch mitten im „Change Management“, doch kurz vor Jahresschluss ist es Zeit eine erste Zwischenbilanz des Projekts „vibrio wolkenworker“ zu ziehen.
Auf dem Weg zur virtuellen Agentur
vibrio hat immer schon versucht technologische und strategische Trends frühzeitig aufzugreifen. Wir waren in den 90iger Jahren eine der allerersten deutschen PR-Agenturen mit eigenem Internet-Auftritt. Wir haben sehr früh schon den Medien die Zusendung elektronischer Informationen angeboten. Wir haben aber auch immer schon großen Wert darauf gelegt, den Mitarbeitern größtmögliche Zeitsouveränität zuzugestehen. Von Arbeitszeiterfassung haben wir nie viel gehalten. Und Teilzeitarbeit gab es immer schon. Vor allem die Kolleginnen konnten so ihren frühzeitigen Wiedereinstieg nach Schwangerschaft und Früherziehung flexibel planen. Und es sind nun einmal in erster Linie die Frauen, die in unserer Gesellschaft ihre berufliche Karriere hinter die Erziehungs- und Familienarbeit zurückstellen (müssen). An den gesellschaftlichen Machtverhältnissen können wir wenig ändern, an deren individuellen Konsequenzen aber viel. Also gab es bei vibrio immer schon alle denkbaren Arbeitszeiten, von der 16-Stunden-Woche bis zur Vollzeitarbeit.
Im Laufe der Jahre hat der Anteil der Teilzeitmitarbeiter dramatisch zugenommen. Als ich deshalb nach einer schweren Krise der Agentur – mit dem Wegfall des Kunden Microsoft brach Ende 2003 der Umsatz um mehr als 50 Prozent ein; in der Folge mussten wir Stellen abbauen und zeitlich befristet verbleibende Arbeitsplätze über Kurzarbeit absichern – zum Jahresbeginn 2004 vorschlug, auf eine feste Zuordnung der Arbeitsplätze für die Mitarbeiter zu verzichten und die Anzahl der Büroarbeitsplätze auf 90 Prozent der Mitarbeiter zu reduzieren, blieb mein Vorstoß noch intern heftig umstritten: die Kolleginnen und Kollegen wollten auf ihren vertrauten Arbeitsplatz mit den Fotos ihrer Liebsten (Partner, Kinde, Hunde, Pferde) nicht verzichten. Also behielten wir die traditionelle Arbeitsplatzorganisation bei und bauten nur die Infrastruktur für die Arbeit zuhause aus. Denn gegen den Willen der Mitarbeiter lässt sich eine Arbeitsorganisation nicht grundlegend umkrempeln. Das galt damals und das gilt noch heute. Immerhin: jeder Mitarbeiter erhielt ein Notebook, mit dem er auch zuhause arbeiten konnte, wenn er wollte. Die technische Anbindung ans Office haben wir anfangs mit Citrix Metaframe organisiert.
Es dauerte sieben Jahre bis die Mitarbeiter mit dem Umzug vom Haus C ins Haus B des Edisonparks im Jahr 2010 dem nächsten Schritt zur Virtualisierung zustimmten. Seit sechs Jahren arbeitet vibrio mit IP-Telefonie. Mit Headset wird unser Notebook zur Telefonnebenstelle. Die Mitarbeiter telefonieren von zuhause aus gerade so, als säßen sie im Büro. Sie sind über die Nebenstelle erreichbar und der Kunde und Journalist merkt im Idealfall gar nicht, dass die Kollegin oder der Kollege zuhause unterm Apfelbaum sitzt. Na gut: bei mir hört man das manchmal weil mein Papagei gerne mittelefoniert …
Und wollte in den letzten sechs Jahren der Mitarbeiter doch im Büro arbeiten, so gab es dort immer ausreichend Schreibtische und er musste sich nur frühmorgens seinen Rollwagen greifen und einen freien Platz suchen. Hund, Pferd und Ehepartner mussten mit einem Platz im Rollcontainer vorlieb nehmen. Bis wir vor drei Monaten auch noch die Rollwägelchen abgeschafft haben.
vibrio wolkenworker und smart agency
Im Sommer 2016 haben wir beschlossen, den nächsten Schritt zur Smart Agency zu gehen: das Home Office sollte nicht mehr die geduldete und akzeptierte Ausnahme sein, sondern die Regel, wobei das „Home“ eigentlich auch schon eine verblassende Attitüde ist: letztlich ist es egal, wo einer arbeitet. Und auch wann einer arbeitet wird immer mehr zweitrangig, soweit es mit dem Team abgesprochen ist. Mit dem Umzug in die Prannerstraße im edlen Münchner Altstadtviertel hinter dem Hotel „Bayerischer Hof“ sollte alles anders werden:
- Auswärts – oder zuhause – arbeiten ist der Regelfall.
- Für einen der wenigen festen Arbeitsplätze muss man sich nun vorher anmelden.
- Wir verbringen weniger Zeit im Stau und in übervollen S- und U-Bahnen.
- Die Kommunikationsinfrastruktur für virtuelles und elektronisches Teamworking wird Zug um Zug ausgebaut.
- Die gesamte IT-Infrastruktur wanderte in die Cloud (Mischung aus Private und Public Cloud)
- Und nicht zuletzt sollte der Austausch mit anderen – dynamischen – Unternehmen intensiviert werden.
Der letzte Punkt war durchaus entscheidend. vibrio hat eine extrem niedrige Fluktuation unter den Mitarbeitern – und glücklicherweise auch unter den Kunden. Gerade weil wir in Sachen Arbeitsort und -zeit sehr auf die sich ändernden Bedürfnisse der Mitarbeiter eingehen, bleiben wir als Arbeitgeber für die Kolleginnnen und Kollegen attraktiv. Unser Status auf kununu unterstreicht dies. Das heißt aber auch, dass es nur wenig Zufluss an „frischem Blut“, an Erfahrungen aus anderen Agenturen und Unternehmen gibt. Wenn die Mitarbeiter nicht gehen, kann man auch nur selten externe Erfahrungen zukaufen. In einem dynamischen Branchenumfeld sind wir deshalb mehr denn je auf den Austausch mit anderen Unternehmen angewiesen.
Deshalb haben wir uns für ein Büro in einer Bürogemeinschaft entschieden und nach langen Recherchen sind wir auf das neue Altstadt-Büro der Friendsfactory gestoßen: neu renovierte Büros in zentraler Lage zwischen Odeonsplatz und Karlsplatz (Stachus), bestens mit dem MVV zu erreichen, ein großzügiger Empfangsbereich, eine idyllische Dachterrasse für den After-Work-Drink und ein lauschiger Innenhof für die schönen Münchner Sommertage. Wir haben zwei Büros mit sechs Arbeitsplätzen für 17 Mitarbeiter bezogen und nutzen Meetingräume, Kaffeeküche, Toilette und Gemeinschaftsflächen gemeinsam mit anderen Unternehmen. So entsteht ein intensiver Austausch mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Firmen, Kulturen und Branchen beim Kaffee kochen. Soweit die Theorie.
Tatsache ist aber, dass sich seit unserem Einzug die Gemeinschaftsflächen drastisch verkleinert haben, dass es schwierig ist Meetingräume zu bekommen, dass die Rezeption verschwunden ist und dass die Kommunikation zwischen Kaffeemaschine und Toilette doch arg reduziert bleibt. Darauf reagieren wir gerade, indem wir das kleinere unserer beiden Büros in einen eigenen „Sozialraum“ umbauen. Bei Microsoft heißt das dann etwas umständlich „Share & Discuss Space“ ;-). Man trifft sich und Gäste dann in einer kleinen Lounge mit Sofa, zwei Sesseln mit Notebook-Ablage, großem Monitor und kleiner Whisky-Bar – soviel Traditionspflege muss sein.
Zum aktuellen Stand der Mitarbeiterzufriedenheit
Dann gibt es nur noch vier reguläre Schreibtische für 17 Mitarbeiter. Funktioniert das? Und spart das Geld?
Ja und nein: Ja, es funktioniert. Nein, es spart kein Geld. Natürlich haben wir mit der kleineren Mietfläche geringere Mietkosten. Aber gleichzeitig steigen die Kosten für IT und Mitarbeiter. Jeder Mitarbeiter bekommt neben dem Notebook nun auch noch ein Smartphone (auch zur privaten Nutzung) und einen Zuschuss zu den MVV-Kosten (in Form von Streifenkarten). Eigentlich sollte jeder Mitarbeiter eine MVV-Netzkarte erhalten. Wir sind jetzt eine Innenstadt-Agentur und in Innenstädten macht private Mobilität einfach keinen Sinn. Da sind wir Überzeugungstäter. Aus steuerlichen Gründen aber klappt das mit den Netzkarten nicht. Und der MVV (der Träger des öffentlichen Nahverkehrs im Großraum München) bietet Firmenkarten tatsächlich erst ab 100 Mitarbeitern an. Ein Witz der Kommunalpolitiker, die andererseits den Mittelstand und den Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel fördern will.
Was es aber wirtschaftlich bringt ist eine größere Flexibilität, denn die IT- und Personalkosten sind im Notfall schneller anzupassen, als langfristige Mietverträge und Investitionen in Möbel. Nicht dass ich daran denke Arbeitsplätze abzubauen, aber bei einem Zusatzbedarf können wir einfach und effizient neue freie Mitarbeiter in unser bestehendes Netzwerk einbinden. Die Infrastruktur dafür steht. Das ist das entscheidende Plus im Kostenmanagement einer Agentur.
Und sind die Mitarbeiter zufrieden? Und funktionieren die Abläufe? Oder leidet die Qualität unserer Arbeit?
Die Ergebnisse einer Mitarbeiterbefragung zu den Auswirkungen der Virtualisierung lassen hoffen:
- Jeder dritte Mitarbeiter empfindet die Auswirkungen der Viralisierung für sich selbst als „sehr positiv“, mehr als 50 Prozent als „überwiegend positiv“, niemand als negativ.
- Die Auswirkungen für die Agentur werden minimal kritischer gesehen, was sich durch den laufenden Change-Prozess gut erklären lässt.
- Als größte Vorteile der Virtualisierung gelten die Förderung der Technologiekompetenz und die gesteigerte Reaktionsschnelligkeit von Agentur mit Mitarbeiter
- Risiken werden für die Kreativität und die Erreichbarkeit der Agentur gesehen. Daran müssen wir arbeiten.
- Alle Mitarbeiter bewerten die Verkürzung der Fahrzeiten zwischen zuhause und Büro als positiv.
- Die gewonnene Zeit und Zeitsouveränität kommen eher den privaten Interessen der Mitarbeiter, als der Agentur zugute.
- Mehr als die Hälfte der Befragten beantwortet die Frage „Glaubst du, dass sich deine Leistungen im Beruf durch die Virtualisierung deines Arbeitsplatzes verändert haben?“ mit „eher verbessert“. Die Rest sieht „keine Veränderungen“. Schön: Verschlechterungen sieht niemand.
- Je zur Hälfte sehen sich die Mitarbeiter während der Arbeit zuhause „kaum“ oder „gar nicht“ gestört. Nur ein Mitarbeiter merkt relevante Störungen an.
- Am ehesten stören noch Lebenspartner und Kinder, aber auch solche Störungen geben nur wenige Mitarbeiter mit gering oder gelegentlich an:
Die Umfrage haben wir eben erst durchgeführt.
Nächste Schritte in der Wolke
Alles in allem sehe ich uns auf dem richtigen Weg:
- Die Virtualisierung der Agentur schreitet voran.
- Gewinner sind zuerst die Mitarbeiter …
- … und damit auch die Agentur und unsere Kunden
- Wir gewinnen an Flexibilität und Reaktionsschnelligkeit
- Wir gewinnen langfristig an Effizienz
- Hierzu bauen wir das teamorientierte digitale interne Projektmanagement mit InLoox aus
- Wir müssen uns weiter aktiv um das Kreativitätsmanagement in der Agentur kümmern
- Hierzu bauen wir die virtuelle Meeting-Kultur weiter aus und erproben Alternativen in unserer allgemeinen Teaming- und Meeting-Kultur
Zur Zeit organisieren wir uns mit
- Allmorgendlichen Telefon- und Online-Konferenzen über Swyx und TeamViewer
- Alle zwei Wochen eine Online-Konferenze zu strategischen und kreativen Themen
- Alle sechs Wochen Halbtags-Workshops in der Prannerstraße mit anschließendem gemeinsamen Mittag- bzw. Abendessen
- Kunden- und themenspezifische AdHoc-Meetings (online und offline)
Es geht weiter voran in Richtung auf Smart Agency. Die Wolkenworker ziehen mit.
Sehr spannend.
Ich denke das bringt für alle Seiten Vorteile. Der Arbeitgeber spart sich einen Teil der Miete und auch andere Infrastrukturkosten und der Mitarbeiter bekommt mehr Zeit sich zu erholen, zum Beispiel in dem er die Zeit, welche er/ sie normalerweise für das „Reisen“ zur Arbeit benötigt anderweitig nutzt. Oder aber in die Arbeitszeit investiert, wenns mal dringend ist.
Eines der wenigen Herausforderungen welche ich hier sehe, ist zum Teil der fehlende Flurfunk/ Austausch in der Küche/ das gemeinsame Mittagessen, etc. Das Ganze kann schon viel weiterhelfen. Es liegt ja auch in der menschlichen Natur sich öfter Austauschen zu wollen. Die im Beitrag genannte Lösung mit dem „Sozialraum“ hört sich interessant an.
Inspiriert von Eurem Beitrag/ Eurer Geschichte habe ich das mal versucht auf unsere Situation zu übertragen. Hier der Beitrag: https://www.yuhiro.de/home-office-bei-indischen-mitarbeitern-passt-das-zusammen/ Ich denke das dass im modernen München heutzutage gut funktionieren kann. Das Internet ist zuverlässig und auch andere Software ermöglicht das „Smarte“ zusammenarbeiten. In anderen Ländern ist das definitiv nicht so einfach.
Danke nochmals für den tollen Beitrag und das Teilen Eures Weges hin zum modernen Arbeiten.