Virales Marketing ohne Moralkodex: der Fall Mhoch3
Es war in der Branche kein Geheimnis. Meinungen und Bewertungen im Internet, in Foren oder auf Bewertungsseiten können gekauft werden. Vielen Verbrauchern war dies nicht klar. Ein Fall aus Österreich könnte dies nun ändern, weil er zum ersten Mal deutlich macht, welches Ausmaß und welche Methoden Agenturen anwenden, um die Öffentlichkeit zu täuschen. Mindestens genauso schockierend ist dabei die Selbstherrlichkeit, mit der die betroffene Agentur Mhoch3 ihre Dienste anbietet. Dabei verstößt sich nicht nur gegen den „Europäischen Kodex der Verhaltensgrundsätze in der Öffentlichkeitsarbeit“ (eine Kopie des Code de Lisbonne findet sich auf den vibrio-Seiten), sondern möglicherweise auch gegen das Wettbewerbsrecht.
Dass die irreführenden Kommentare gekaufter Claqueure zutiefst unmoralisch sind und Dienstleister wie Kunden in Misskredit bringen sei nur am Rande erwähnt. Der Fall wird auch dazu führen, dass die Skepsis gegenüber sozialen Medien weiter zunimmt, die schon im Zuge der jüngsten Konflikte in der Ukraine und Syrien stark angestiegen ist.
Eine kurze Zusammenfassung sei hier erlaubt: das Österreichische Magazin Datum hat aufgedeckt, wie die Agentur Mhoch3 („Modern Mind Marketing“, ehemals „e-Clipping“) ein Netz an bezahlten Usern aufgebaut und gesteuert hat, um unter falschen Namen und mehreren Accounts in öffentlichen Foren Meinung für die Auftraggeber der Agentur zu machen. Mit einer schriftlichen Marschordnung versehen, posteten sie unauffällig Fragen oder Bewertungen, die Produkte, Unternehmen oder – besonders pikant – Parteien und Amtsträger besser aussehen lassen sollten. Dabei wurden auch zweifelhafte Produkte wie Glücksspiel beworben, oder sensible wie Medikamente, deren Nebenwirkungen möglicherweise Grund für eben diese Kampagne gewesen sein mögen.
Geschäft gegen Moral und die rechtliche Frage
Mhoch3 hat damit gegen mehrere Gebote des Code de Lisbonne verstoßen. Dieser ist freiwillig und soll als Gütesiegel für Agenturen gelten, die österreichische Agentur kann also darauf pfeifen, wenn ihr Geschäftsmodell eher trashig ist. Sie könnte wegen unlauteren Wettbewerbs verklagt werden (wie Johannes Boie in der SZ anmerkt und der Wiener Rechtsanwalt Thomas Höhne in der „Datum“ vermutet). Vor allem aber könnten ihr die Auftraggeber jetzt weglaufen: wenn die Gefahr besteht, dass sie diese Art und Weise bloßgestellt werden und sie zudem riskieren, dass selbst authentische Positivurteile in Zukunft vom Verbraucher als Lüge bewertet werden, dann wird aus dieser Art des viralen Marketing eine sehr riskante Strategie.
Virales Marketing und die Alternativen im Social Media Marketing
Vielleicht soll man den Aussagen der betroffenen Unternehmen glauben, dass es sozialmediale Jugendsünden waren, die sie dazu brachten sich von „Sockpuppets“ bejubeln zu lassen. Denn es führt kein Weg vorbei an den Sozialen Netzwerken, vor allem wenn man im B2C-Bereich aktiv ist. Bewertungen und Kritiken haben online eine viel größere Reichweite als in prä-digitaler Zeit, wo ein enttäuschter Gast seinem Ärger nicht vor Tausenden potentieller Kunden auf den Bildschirm Luft machen konnte. Doch dieser Schritt auf den Kunden zu muss ebenso ehrlich und aufrichtig sein wie jede Kommunikation mit ihm. Die Anonymität des Netzes darf nicht dazu verleiten, zu unlauteren Mitteln zu greifen. Oder anders gesagt: man muss sich anstrengen. Social Media Marketing ist nicht einfach, und es funktioniert nicht aus dem luftleeren Raum. Hinter einer guten Social Media Strategie steht immer ein Unternehmen mit einer guten Unternehmenskultur.
Wir betreuen bei vibrio eine Reihe von Kunden in ihrem Social-Media-Auftritt, beraten sie zu den Werkzeugen und Botschaften, die sie dabei einsetzen (und dies natürlich getreu des Code de Lisbonne). Der erste Schritt dazu muss immer eine Analyse sein, was die Ziele sind und welche Strategie dazu geeignet ist. Dabei können Dialogmarkting, die Kontaktaufnahmen mit Meinungsführern oder auch die Betreuung von Kommentarbereichen, Xing- oder Linkedin-Profilen und Facebook-Seiten geeignete Mittel sein. Doch in allen Fällen muss die Aufrichtigkeit, die Offenheit und die klare Kennzeichnung von Quelle und Auftraggeber gewährleistet sein. Denn die Reputation einer Firma ist auf Dauer ihr wichtigstes Gut, online wie offline. Ihr Schutz sollte die erste Aufgabe jeden PR-Dienstleisters sein. Wer also wie Mhoch3 Produkte anbietet, die über kurz oder lang zu einer Katastrophe führen müssen, der verhält sich kurzsichtig und unlauter.
Vielleicht sollte der Deutsche Rat für Public Relations ein online-Portal für Whistleblower einrichten: wo Dutzend oder Hunderte Erfüllungsgehilfen tagein, tagaus nichts anderes tun als zu surfen und seichte Werbelügen zu posten, da finden sich bald auch enttäuschte oder desillusionierte Ausscheider, die mit ihrem frührern Auftraggeber nichts mehr zu tun haben wollen. Der „Datum“ ist es gelungen, einige von ihnen ausfindig zu machen. Der Deutsche PR-Rat sollte es sich ebenfalls zur Aufgabe machen.
Foto: „Hands-Clapping“ von Evan-Amos – Eigenes Werk. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons.
Sind Sie noch ein Pharisäer?
(NHC II,2,39) Jesus sagte: Die Pharisäer und die Schriftgelehrten haben die Schlüssel der Erkenntnis empfangen; sie versteckten sie. Sie sind selbst nicht hineingegangen, und die hineingehen wollten, ließen sie nicht hinein. Ihr aber, werdet klug wie die Schlangen und ohne Falsch(heit) wie die Tauben.
Ein Pharisäer ist ein Moralverkäufer, der die Welt in „gut“ und „böse“ unterteilt, wobei die Moral (irgendeine traditionelle Verhaltensweise, die sich an die ausreichend vorhandenen Dummen verkaufen lässt), die der Pharisäer als „gut“ verkauft, nicht seiner eigenen Moral entsprechen muss, bzw. in den seltensten Fällen seiner eigenen Moral entspricht. Weil jede moralische Wertung als solche schon verlogen ist, kann man auch sagen, ein Pharisäer ist ein doppelt verlogener Mensch.
„Feind“ sollt ihr sagen, aber nicht „Bösewicht“; „Kranker“ sollt ihr sagen, aber nicht „Schuft“; „Tor“ sollt ihr sagen, aber nicht „Sünder“.
Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra.
Das trifft es genau. Der religiös verblendete Pharisäer, der selbst nicht ins Paradies hinein, sondern nur andere, die hinein wollen, daran hindern will, urteilt subjektiv moralisch wertend (Bösewicht; Schuft; Sünder), während der über Gott stehende Zarathustra objektiv sachlich wertfrei beurteilt (Feind; Kranker; Tor). Allerdings war auch Nietzsche, so wie alle seine Zeitgenossen, noch im Wertgedanken verhaftet, den man erst ablegen kann, wenn man erstens das Geld als die grundlegendste zwischenmenschliche Beziehung und zweitens sowohl den elementaren Fehler im „Geld, wie es (noch) ist“ (Zinsgeld) als auch das fehlerfreie „Geld, wie es sein soll“ (Freigeld) verstanden hat. Das überforderte auch den intelligentesten Philosophen, dem das heute wertvollste Wissen der Welt, die Schriften von Silvio Gesell, noch nicht zur Verfügung stand. Somit konnte sein erdachter Prophet Zarathustra noch keinen Frieden stiften und mit einem Aufruf zur „Umwertung aller Werte“ ist es nicht getan. Tatsächlich gibt es gar keine „Werte“, sondern nur Preise. Und das gilt nicht nur für Waren, sondern auch für Menschen:
„Wie erstaunlich schnell der Mensch, und vorzüglich die Frau, die Servilität, die Sklavenketten abzulegen weiß, sobald die ökonomischen Verhältnisse es gestatten, erkennt man am besten an den Dienstmädchen. Mit jedem Punkt, den das Angebot der Nachfrage gegenüber auf dem „Gesindemarkt“ verliert, wächst auch die Selbstachtung, die Würde der Mädchen, steigt auch die Achtung der Hausfrau vor dem Mädchen. Schritt haltend mit dem Lohn ist auch die Behandlung besser geworden. Der Mensch wird eben in seinem Tun und Denken von äußeren Verhältnissen bestimmt; er achtet eine Sache gering, die er haufenweise auf der Straße findet, selbst wenn es sich um einen Menschen handelt. Wird jedoch der Mensch selten, muss man lange suchen, um eine oft wirklich unentbehrliche Hilfe fürs Haus zu finden, so schätzt und ehrt man diese Hilfe. Die Größe der Achtung, die man einem Menschen zollt, wird wie der Preis der Ware durch Nachfrage und Angebot bestimmt.“
Silvio Gesell (aus „Die Verwirklichung des Rechtes auf den vollen Arbeitsertrag durch die Geld- und Bodenreform“, 1906)
Wem diese objektiv sachliche Feststellung jetzt subjektiv „unmenschlich“ erscheinen sollte, ist selbst ein Unmensch, d. h. ein Pharisäer! Während ein Zinsgewinner (ausgenommen ein Patentinhaber) noch einen greifbaren Vorteil von der Erbsünde hat, wollen sich Pharisäer und Schriftgelehrte die Erbsünde einfach nur erhalten, „weil es ihnen so gefällt“.
Gut und Böse
Danke, auch wenn mir das jetzt ein bisschen zu abgehoben war, für den Kommentar.