Wahl-Panne: die Twitter-Auftritte der deutschen Politiker
Haben sie diese Woche auch E-Mails von Twitter erhalten, „die Bundestagswahl auf Twitter“ zu entdecken? Vielleicht haben Sie sich die Mühe gemacht, die vorgeschlagenen Polit-Accounts anzusehen. In den meisten Fällen dürfte es dabei geblieben sein. Ein „Follow“ lohnt sich nicht. Das zeigen auch Zahlen des BITKOM um von Barracuda Networks.
Die Bilanz der Twitter-Auftritte deutscher Politiker und Parteien fällt nicht sehr schmeichelhaft aus. Gerade einmal 50.000 Follower für ein politisches Schwergewicht wie Steinbrück, die Kanzlerin gar fehl völlig im Kurznachrichtendienst. Die CDU Online-Redaktion kommt immerhin auf 34.000 Follower. Und dabei beinhaltet diese Zahl eine ganze Reihe an merkwürdigen Accounts, wie Barracuda analysierte.
Verfolgt von Zombies oder Klonen
Jeder dritte Polit-Follower ist nämlich offenbar eine Karteileiche oder zweifelhaft, so die Experten bei Barracuda, die schon 2012 im US-Wahlkampf die falschen Follower des Kandidaten Mitt Romney untersucht hatten. Keine der beiden Diagnosen – Twitter-Zombie oder Twitter-Klon – ist besonders vorteilhaft. Im ersten Fall deutet es darauf hin, dass viele politisch Interessierte nicht über Twitter erreicht werden. Zwar legen sie sich ein Account an, folgen politisch interessanten oder nahestehenden Promis, aber dann kehren sie vielleicht nie wieder zurück. Ein Verhalten, dass jeder von uns anekdotisch sicher belegen kann.
Oder aber die Wahlkampfteams der Kandidaten haben erkannt, wie mickrig ihre Followerschar aussieht (wir reden schließlich von Twitter, einer erklärten Politik-Wunderwaffe, die für ein halbes Dutzend Revolutionen im Nahen Osten verantwortlich gemacht wird), und verwenden handgemachte Follower als digitales Botox für die verschrumpelten Accounts ihrer Spitzen. Wenn es nur ebenso leicht wäre, echte Wähler für den Sprung über die 5-Prozent-Hürde zu gewinnen.
Woran es liegt
Es bleibt die Frage, warum Deutschland über vieles twittert (oder „tweetet“?) – heute, drei Tage vor der Wahl ist #btw13 ein „Trending Topic“ – aber nicht über die Twitter-Accounts seiner Politiker. Ein Grund könnte nach persönlicher Meinung die große Öde sein, die aus deren Timeline spricht. Bei @cdu_news steht wenig anderes als Wahlslogans mit hinterlegten Links, bei @fdp_de ist man schon einen Schritt weiter und versendet Social-Media-taugliche Aufrufe (und mit dem Retweet „Aufstehen, weiterkämpfen!“ vom Account der Bayerischen FDP sogar ein kleines Stück Emotion). @jtrittin dagegen merkt man an, dass hier sein Wahlkampfteam twittert (oder Trittin hat den Pluralis Majestatis für sich entdeckt: „@JTrittin heute um 17:30 Uhr an der Lorenzkirche„). Auch @peersteinbrueck lässt unter seinem Namen über sich schreiben: „Peer Steinbrück war gestern bei Circus #HalliGalli zu Gast.“
Es scheint als hätten die Wahlkampfteams das Memo von der Bedeutung Twitters gelesen, aber keine Ahnung, wie sie es für ihre Kandidaten sinnvoll einsetzen. Ein Account unter dem Namen Steinbrücks muss doch aus seiner eigenen Feder stammen (oder zumindest so scheinen)! Social Media Persönlichkeiten müssen persönlich sein und nicht wie instrumentalisierte Blechdeppen ihrer selbst wirken. Das Hauptproblem aber dürfte sein, dass Social Media von einer Kombination von emotionaler und sachlicher Ansprache leben (verbunden mit einem großen Maß an Transparenz und Offenheit), die US-Politikern von jeher leichter fällt. Barack Obama hat zwar auch über 50 % inaktiver Follower – aber er hat trotzdem noch rund 18 Millionen echter Fans auf Twitter.
Bester Polit-Account: @zdfcheck
Es scheint als bliebe uns der politische Dialog auf Twitter zumindest in dieser Wahlperiode erspart. Aber nicht alles ist schlecht im Twitterland: eines der interessantesten Accounts (wenn auch mit sträflich wenigen Followern) ist die Faktencheck-Timeline von heute.de, Wikimedia und Phoenix unter @zdfcheck. Erleuchtend auch seine „Bilanz nach viereinhalb Monaten ZDFcheck: Die Wahrheit hat in der Politik viele Gesichter.“ Doch ganz offenbar nur diesen einzigen gutes Twitter-Account. Die großen Parteien setzten vermutlich noch auf Print und Radio.
Zwischen 41 und 49 Prozent sind aber nicht „jeder Dritte“ Außerdem ist „Fälschung“ eine Tatsachenbehauptung, die ich für juristisch schwierig halte, weil nicht belegbar. Barracuda tituliert die auch anders. Alternativvermutung: Bekannten und kommunizierten Twitteraccounts folgen automiasch viele Twitspam-Robots – da können die Accounts nichts dafür…
In der Tat deklariert Barracuda nur zwischen 25 und 32 Prozent als zweifelhaft oder verwaist, was streng genommen „Ein Viertel bis ein Drittel“ ist. Ich denke dass die Analyse durchaus Spambots berücksichtigt – vor allem das Kriterium „Keine Tweets“ dürfte hier ja nicht greifen, wobei ich zugeben muss die anderen Kriterien nicht zu kennen.
Es kann auch kaum einen Beweis dafür geben, dass diesee Follower vom Accountinhaber gekauft wurden – auch ein misliebiger Konkurrenz könnte ihm diese beschafft haben, ohne dass er es (direkt) erfährt oder sich im ersten Moment dagegen wehren könnte.
Wie beschrieben tendiere ich eher zur Erklärung, dass die Accounts so wenig attraktiv sind, dass nicht so recht Leben in diesen Social Media Kanal kommt, und das resultierende Bild eher eines von Vernachlässigung denn von Täuschung ist.
Edit: vom Begriff „Fälschung“ habe ich mich hier getrennt. Danke für den Hinweis.