Warum sollten Unternehmenswerte ins Marketing?
Das Lebenselixier von Werten ist ihre Würdigung. Jedes sichtbare und freiwillige Einstehen für Werte stärkt ihre Wirkmacht. Es gilt auch: Je mehr umso besser. Je mehr Menschen sich zu Werten bekennen, umso mehr tun es ihnen andere nach. Das liegt an unserer instinktiven Orientierung an vorherrschenden Stimmungen, wahrgenommen als die so genannte öffentliche Meinung. Es ist der Herdentrieb, der, wie so vieles aus dem Beginn der Menschheitsgeschichte, in unserer DNA das Sagen hat.
Aus der Kommunikationswissenschaft ist die so genannte „Schweigespirale“ von Prof. Dr. Elisabeth Noelle, Gründerin des Instituts für Demoskopie in Allensbach, bekannt. Die Grundaussage ist, dass gesellschaftliche Mehrheitsmeinungen Zulauf erfahren. Vermeintliche Minderheitsmeinungen einen Ablauf der Unterstützer verzeichnen. In der Wissenschaft ist diese in den 1980er Jahren entwickelte Theorie nicht unumstritten. Aber in der Praxis funktioniert es tatsächlich. Leider hat das Prinzip auch den Nachteil, dass Minderheiten meinen, es genüge, nur laut und oft genug zu schreien, und schwupps sei man die Mehrheit. Der Vorteil ist andererseits, dass auch Minderheiten durch eine gewisse Nachdrücklichkeit ihre Agenda in der Öffentlichkeit platzieren und für Diskussionen sorgen können.
Das Armageddon der Menschlichkeit
Werte verändern sich. Sich verändernde Werte werden auch „Zeitgeist“ oder „Moral“ genannt. Sie sind die aktuell geltenden Verhaltensnormen. Manche Werte verändern sich eher weniger. Dazu gehören diejenigen, die in der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ (AEMR), der „International Bill of Human Rights“ stehen. Sie wurde drei Jahre nach Gründung der Vereinten Nationen 1945 von der UN-Generalversammlung aus 51 Mitgliedsstaaten als eine nicht bindende Resolution zu den Menschenrechten erlassen. Sowohl die UN-Charta als auch die AEMR entstanden auf dem Boden eines verwüsteten Europas.
Der Erste Weltkrieg war eine Zäsur im Wertekanon. Es sollte noch schlimmer kommen. 21 Jahre später versetzen der Zweite Weltkrieg, das Nazi-Regime und der Holocaust der Wertegesellschaft einen Hieb bis auf die Knochen. Es war das Armageddon der Menschlichkeit.
Für deutsche Philosophen wie Theodor W. Adorno war dieser Zivilisationsbruch die Stunde Null der Kultur. Die Vision von einer humanen Gesellschaft, in der man «ohne Angst verschieden sein kann», musste neu gedacht werden. Denn die Vergangenheit ist nie vergangen.
Wie Phönix aus der Asche: Eine neue Friedensordnung
Ein Weiterso durfte und konnte es für die Welt nicht geben. Die Charta der Vereinten Nationen trat am 24. Oktober 1945 in Kraft. Sie war zu weiten Teilen inspiriert vom Königsberger Philosophen Immanuel Kant. Seine Schrift „Zum ewigen Frieden“ von 1795 verfasste er als eine Art Mustertext für Regierungen. Für ein friedliches Miteinander auf allen Ebenen menschlicher Organisationsformen zu sorgen, das ist nach Kant die zentrale Aufgabe der Politik. Im ersten Teil seiner Schrift geht es um die Friedenssicherung in der internationalen Politik, im Binnenverhältnis der Staaten. Die Zivilgesellschaft ist dabei außen vor, ein Zaungast. Ein Unternehmen oder eine Organisation kann die UN-Charta zwar gut finden, aber als unternehmerisches Wertebekenntnis ist sie eher ungeeignet.
Eine friedliche Gesellschaft schließt den öffentlichen Diskurs nicht aus. Im Gegenteil: Meinungsvielfalt ist ein gewolltes Merkmal der Demokratie. Nur dann, wenn die alle Bürger einenden Grundwerte angekratzt, in Frage gestellt oder bekämpft werden, hebt der Rechtsstaat das Stoppschild. Rassismus, Antisemitismus und Fremdenhass sind in vielen Ländern auf dem Vormarsch. Religiöser Fanatismus, Fundamentalismus und Nationalismus verbreiten sich wie Krebsgeschwüre. Diesen Ismen wohnt der egozentrische Hass gegen Andersdenkende inne. Hass ist ein so starkes Gefühl, dass es den Verstand blockiert. Deshalb bleiben Liberalismus und Humanismus keine anderen Waffen zur Verfügung als zum einen den Rechtsstaat zu bemühen und zum anderen, die Macht der Mehrheitsmeinung zu nutzen. Das Ziel ist der moralisch-kulturelle Fortschritt, kein Rückschritt.
Eine humane Zivilgesellschaft für alle
Die Rückkehr zu längst überwunden geglaubten Ressentiments, die sich einer längst sanktionierten Sprache bedient, muss derart geächtet werden, dass sich der Nebel der Restauration eben nicht über das gesamte Land legen kann. Wie ein frischer Wind aus West kann ihn die Zivilgesellschaft wegpusten. Kann und sollte. Der gesellschaftlich-soziale Wertekanon ist in der demokratischen Welt relativ klar umrissen. Er eint die Menschen unterschiedlicher Nationen über Ländergrenzen hinweg. Dennoch höhlen manche Regierungen liberale Grundordnungen durch Gesetze aus. So kann zum Beispiel die freie Meinungsäußerung durch das Strafrecht derart beschränkt werden, dass „frei“ nicht mehr zutrifft. Selbst das Fundament des Rechtsstaats, die Gewaltenteilung, kann durch bereits im Vorfeld demokratisch ausgehölte Strukturen zerstört werden. Dann zieht jene schrankenlose Willkür ein, durch die eine de jure Demokratie de facto zur Diktatur wird, in der Individualrechte geschreddert werden.
Unternehmen positionieren sich positiv mit Werten
In diesem rastlosen Ringen um die Werte des liberalen Humanismus kommen Unternehmen ins Spiel. Ihr Bekenntnis zu menschlicher Vielfalt, Integration von Minderheiten, sozialem Engagement, zum Schutz von Umwelt und Ressourcen sind nicht nur Werte, die als moralischer Kompass nach innen wirken. Jedem Mitarbeitenden machen sie klar, welches Verhalten gewünscht ist, welches sanktioniert wird. Wie verhält es sich aber in der Außenwirkung? Spielt es für Kunden und Partner eine Rolle, welche Werte das Unternehmen vertritt? Haben Unternehmenswerte Einfluss auf den Aktienkurs? Ja. Die Strahlkraft von veröffentlichten Unternehmenswerten sollte nicht unterschätzt werden – nicht heute, in Zeiten der die Gesellschaft polarisierenden Klimakrise. Und nicht in Zeiten von ESG, den EU-Richtlinien für die Umsetzung und zum Report von Maßnahmen zu Gunsten von Environment, Social und Governance.
Ohne Verpflichtung zu Grundsätzen stehen
Als kleine Firma sind wir von der ESG-Berichtspflicht nicht betroffen. Und dennoch pflegen wir seit unserer Gründung 1992 die immer gleichen Werte, die nun seit mehr als 30 Jahren gelten:
„Unser Code of Conduct liegt der täglichen Arbeit aller Mitarbeitenden der Agentur zu Grunde und regelt neben dem Code de Lisbonne und dem Athener Kodex das Verhalten der Mitarbeitenden gegenüber Medien, Kunden und Öffentlichkeit:
- Wir arbeiten nur für Kunden, für deren Produkte und Strategien wir jederzeit einstehen können. Unternehmen und Personen, die andere Menschen oder Unternehmen aus religiösen oder ethnischen Gründen diskriminieren, die undemokratische Ziele verfolgen oder sich rücksichtslos gegenüber der Umwelt verhalten, können nicht Kunden von vibrio sein.
- Wir arbeiten nur für Kunden, deren Produkte und Strategien wir verstehen. Das bedeutet: Wir konzentrieren uns auf Märkte, in denen wir zuhause sind.
- Wir setzen in der Kommunikation auf Ehrlichkeit und wahre Inhalte. Wir verbreiten keine unzutreffenden Informationen.“
In diesen wenigen Zeilen hat Michael Kausch, Gründer und Inhaber von vibrio, gleich zwei internationale Kodexe für die Öffentlichkeitsarbeit zusammengefasst, den Code d’Athénes und den Code de Lisbonne. Wenn Sie sich beide Statuten durchlesen, werden Sie sich vermutlich langweilen. Beide fordern von PR-Fachleuten, dass sie sich anständig verhalten und so den Berufsstand in Ehren halten. Integer sollen PR-Fachleute sein. Sie sollen nicht lügen, nicht betrügen, nicht bestechen und sich nicht bestechen lassen. Interessenskonflikte sollen sie offenlegen, verschwiegen sein und sich gegenüber Berufskollegen fair verhalten.
Was ist der Code d’Athénes?
Der Athener Codex stammt aus dem Jahr 1965. Er ist grundlegender als der Code de Lisbonne. Er beschreibt die „internationalen Grundsätze für Öffentlichkeitsarbeit“. Der Auftakt zeigt, woraus er sich ableitet: Aus der Charta der Vereinten Nationen, deren Kern der Glaube an die Menschenrechte und an die Würde und den Wert des Menschen ist. Auf die PR bezogen wird betont, dass die Macht der Kommunikation groß ist. Sie könne die geistigen, moralischen und sozialen Grundbedürfnisse des Menschen beeinflussen. Und aus diesem Grund halten die Unterzeichner einen internationalen Verhaltenskodex für notwendig.
Die UN-Menschenrechtskonvention zu pflegen und mit dem eigenen Handeln zu fördern, ist also der Auftrag. Dazu gehört, dass PR-Fachleute die Würde der Person und das Recht der eigenen Meinungsbildung achten. In diesem Kontext wird unter Punkt 11 dazu aufgefordert, es zu unterlassen, Informationen aus unsicheren Quellen zu verbreiten. Untersagt ist der PR, wovon die Werbung lebt, nämlich „irgendwelche Methoden oder Mittel anzuwenden, mit deren Hilfe das menschliche Unterbewusstsein manipuliert wird, wodurch der einzelne seiner Urteilsfähigkeit und der Verantwortlichkeit für sein Handeln beraubt werden könnte.“ Treffender lässt sich der Unterschied zwischen Advertising und Pressearbeit nicht beschreiben.
Was ist der Code de Lisbonne?
Es handelt sich um einen europäischen Verhaltenskodex für die Öffentlichkeitsarbeit, der am 16. April 1978 von der Organisation CERP beschlossen wurde. CERP steht für Confédération Européenne des Relations Publiques, ist also ein pan-europäischer Dachverband für nationale PR-Verbände. Er wurde bereits 1959 gegründet und erst 2011 aufgelöst, als er zum Teil in der internationalen Dachorganisation Global Alliance for Public Relations and Communication Management aufging.
Was steht im Code de Lisbonne? Eigentlich nicht viel, was nicht auch im internationalen Code d‘ Athenes steht. In die berufliche konkrete Praxis mischt sich aber Artikel 10 ein: Public Relations-Fachleute dürfen „keine vertraglichen Vereinbarungen eingehen, in denen sie ihrem Auftrag- oder Arbeitgeber messbare Erfolgsgarantien abgeben.“ Soso.
PR-Ethik wird von der DRPR geprüft
Die „Deutsche Public Relations Gesellschaft (DPRG) e. V. hat 2012 einen Kodex für die Öffentlichkeitsarbeiter unter dem Titel „Deutscher Kommunikationskodex“ publiziert. Das Organ der freiwilligen Selbstkontrolle der Zunft ist der „Deutsche Rat für Public Relations (DRPR) e. V.“ Der Verein „wird rechtlich und ideell von einem Trägerverein getragen und unterstützt, dem die Deutsche Public Relations Gesellschaft (DPRG) e.V., der Bundesverband deutscher Pressesprecher (BdP) e.V. und die Gesellschaft Public Relations Agenturen (GPRA) e.V. angehören.“
Auch dieser Kodex unterscheidet sich nicht von den Richtlinien des Athener und Lissabonner Codex. Dazu nur ein Beispiel: „Zentrale Normen und Zielwerte, zu denen sich PR- und Kommunikationsfachleute verpflichten, sind Transparenz, Integrität, Fairness, Wahrhaftigkeit, Loyalität und Professionalität.“ (Quelle: DRPR-Deutscher Kommunikationskodex S. 2).
Warum auch noch die Charta der Vielfalt?
Soweit also die Verhaltenskodexe für die Branche. Es gibt darüber hinaus noch die Initiative „Charta der Vielfalt – Für Diversity in der Arbeitswelt“, die wir unterzeichnet haben. Die Initiative wurde im Dezember 2006 von vier Unternehmen ins Leben gerufen: Daimler, BP Europe SE, Deutsche Bank und Deutsche Telekom. Das Anliegen aller Unterzeichner ist es, ,,ein wertschätzendes Arbeitsumfeld für alle Mitarbeitenden zu schaffen – unabhängig von Alter, ethnischer Herkunft und Nationalität, Geschlecht und geschlechtlicher Identität, körperlichen und geistigen Fähigkeiten, Religion und Weltanschauung, sexueller Orientierung und sozialer Herkunft. Die Anerkennung und die Förderung vielfältiger Potenziale schaffen wirtschaftliche Vorteile für unsere Organisation.“
Aber warum haben wir eigentlich unterschrieben? Wir haben doch schon drei Branchen-Kodexe und auch noch unsere eigenen Werte. Nun, man kann das Eine tun, ohne das Andere zu lassen und die Charta-Idee fanden wir gut. Sie passt zu uns. Ein oder sogar mehrere Ausrufezeichen hinter eine gesellschaftliche Idee im Sinne eines respektvollen Miteinanders zu setzen, ist auf keinen Fall verkehrt.
Jede Stimme zählt
Ein sichtbares Engagement für eine wertebasierte Gesellschaft und regelbasiertes Verhalten von Nationen ist wichtig, um humanistische Werte zu nähren. So können sie heranwachsen und stark werden wie ein Lindenbaum, unter dessen Schatten sich alle Menschen versammeln können, um gemeinsam zu feiern oder auch, um sich zu streiten.
Kritiker, die die Publikation von Unternehmenswerten im Bereich des Marketings als Greenwashing ablehnen, gebe ich nur dann recht, wenn die Werte in der Praxis nicht gelebt werden. Mehr Schein als Sein ist in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit schon immer und in jeder Hinsicht pures Gift. Jede Lüge ploppt irgendwann an die Oberfläche. Gerade bei ESG-Täuschungsmanövern kennt die Öffentlichkeit keine Gnade. Deshalb kann es auf die Frage, ob Unternehmenswerte einen Platz im Marketing haben, nur die Antwort geben: Ja, publizieren Sie Ihre Werte, stellen Sie sie auch im Marketing weit nach vorne – wenn sie gelebte Praxis sind.
Oder sind Sie anderer Meinung? Dann lassen Sie uns gerne diskutieren.
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