Wenn der Algorithmus der Gatekeeper wird
Gatekeeper – was waren das noch für schöne Zeiten. Sie waren zu identifizieren, sie waren Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung und Ziel aller PR-Schaffenden. Hatte man den Gatekeeper überwunden, war die Veröffentlichung nicht mehr weit. Das galt insbesondere für gedruckte Fachpublikationen, oftmals auch für Tages- und Wochenzeitungen und seltener für den Rundfunk; die Produktionsbedingungen des Letzteren (Ton, Bewegtbild) waren immer schon zusätzliche Hürden für die PR. Der Gatekeeper war dennoch gemeinhin der Journalist, den es zu überzeugen galt, die Story oder das Produkt für „berichtenswert“ zu halten (Altmarketingsprech für leserrelevant ). Das war damals schon so schlicht wie vereinfacht gedacht.
Denn die Gatekeeper-Forschung fand heraus – wieder ein Wunder der Kommunikationswissenschaft – dass die Relevanz für den Leser gar nicht das einzige Kriterium für den positiven oder negativen Bescheid des Journalisten ist.
PR-Tricks um Gatekeeper zu überwinden
Für die Kontakte zu Journalisten gilt es noch ein paar Gründe für oder gegen eine Veröffentlichung zu bedenken; richtig eingesetzt könnte man sie sogar als PR-Tricks bezeichnen. Hier nur ein paar Beispiele:
- Immer ein Bild in der Schublade haben.
Vor allem im Fachjournalismus haben gute Abbildungen immer noch Seltenheitswert. Nutzen Sie diese Tatsache für Ihre PR; bieten Sie dem Gatekeeper statt toller Produkte oder dem sicherlich auch wichtigen Statement des Produktmanagers einfach mal „wirklich gute Bilder“ an. Da besteht hoher Bedarf, vor allem wenn die Qualität (Auflösung und Größe) und der Lieferumfang (Dateiformat, Dateibeschriftung, Bilddaten, Nutzungsrechte, Quellenangabe) stimmen.
- Erinnern Sie sich an die Produktionsabläufe.
Das gilt insbesondere bei gedruckten Medien; aber auch Online-Plattformen haben feste Prozesse, wann und wie oft Seiten und Themen aktualisiert werden (natürlich orientiert am Nutzerverhalten). Rufen Sie den Gatekeeper nicht am Donnerstagnachmittag an, wenn Sie wissen, dass gerade die Sonntagsausgabe fertig produziert wird. Rufen Sie besser am späten Freitagvormittag an, wenn die Hektik vorbei ist, der Schreibtisch für die nächste Woche aufgeräumt wird und im Kopf bereits die nächste Ausgabe entsteht.
- Seien Sie gefasst darauf, dass der Umfang Ihres Angebots nicht ins Layout der Publikation passt.
Der schönste 12.000 Zeichen Riemen nützt nichts, wenn der Redakteur nur noch Platz für 6.000 Zeichen im Heft hat oder (online) nur noch zwei Zitate zum Thema braucht. Wegen eines falschen Textumfangs die Chance auf eine Veröffentlichung oder Nennung riskieren – wohl eher nicht.
- Promis wirken – im übertragenen Sinne überall.
Wenn Sie konkreten Bezug zu bekannten oder gar prominenten Namen oder Unternehmen (in der Fach-PR) herstellen können, tun sie es. Verwechseln Sie dies aber nicht mit gekauften Testimonials, heute oft auch fälschlicherweise Influencer genannt; im Prinzip aber bloß Werbung. Besser ist eine strategische Kooperation mit oder Produktentwicklung für eine bekannte Marke. Achten Sie darauf, dass die „Promi-Marke“ in der Überschrift oder zumindest im ersten Absatz vorkommt. Auch Gatekeeper werden aufhorchen, wenn es um Promis geht, das liegt in der Natur des Menschen.
- Verwirren Sie den Gatekeeper nicht.
Er soll auf die Schnelle entscheiden, ob Ihr Angebot, relevant für seine Leser ist und in die sonstigen Rahmenbedingungen seiner Publikation passt. Machen Sie ihm ein eindeutiges Angebot, überlegen Sie sich vor dem Anruf, was der Inhalt Ihres Angebots ist und wie Sie es in klaren Worten und einfachen Sätzen vermitteln können. Überlegen Sie sich vorab auch, welche Flexibilität Sie wie schnell anbieten können: Kürzen, Längen, Bilder, Zitate usw. Schnell reagieren und zuverlässig liefern ist von Vorteil.
Und zu guter Letzt ein quasi selbstverständlicher PR-Tipp:
- Suchen Sie Anlässe.
Wie bereits erwähnt: Aussagen oder neue Produkte von Promis, auf die Sie sich beziehen können; negative Branchenereignisse, die Sie kommentieren können (negativ wirkt besser als positiv, das ist menschlich) sind optimal.
Das waren jetzt ein paar Tipps zur Überwindung des Gatekeepers; gelernte und professionelle PR-Arbeiter mögen über die Selbstverständlichkeiten schmunzeln. Es hilft aber trotzdem manchmal, sich selbst in der Branchen-PR auf die meiner Meinung nach immer noch gültigen und auch gut passenden „Nachrichtenfaktoren“ zu besinnen. Sie stammen übrigens von Galtung/Ruge aus dem Jahr 1965, veröffentlicht 28 Jahre vor der Gründung der Agentur vibrio. Auch im Jahr 2017, mehr als ein halbes Jahrhundert später, haben sie noch Gültigkeit. Aber wie lange noch?
Ersetzen Algorithmen den Beruf des Journalisten?
Wie sieht es die nächsten Jahre aus; werden Algorithmen die neuen Gatekeeper? Schon heute achten wir insbesondere bei geschriebenen Beiträgen auf ihre SEO-Kompatibilität, wir versuchen also, den Algorithmus von Google bei der Redaktion mitzudenken, Keywords gehören dazu. Allerdings zieht Google laufend mehr und vor allem andere Kriterien heran, um die Relevanz für den Nutzer zu bestimmen. Nicht alle sind bekannt und nicht alle lassen sich für die Suchanfrage eines individuellen Nutzers aktiv steuern. Wichtig ist und bleibt aber, dass wir Google die Möglichkeit geben, technisch zu erfassen, ob die Seite relevant ist: Die attraktivste Webseite nützt nichts, wenn der Google Algorithmus ihre Inhalte nicht versteht und sie infolge dessen als nicht relevant erachtet.
Der Such-Algorithmus ist aber erst der Anfang der Algorithmisierung der PR: In dem Maße, in dem Roboterjournalismus zunimmt, werden wir uns auch überlegen müssen, ob wir die Pressemitteilungen nicht maschinenlesbar(er) gestalten. Nicht mehr der Gatekeeper entscheidet über die Veröffentlichung, sondern der Algorithmus. Auf der Newsseite eines Online-Mediums werden Produktneuheiten zukünftig wahrscheinlich automatisch veröffentlicht. Schon heute automatisieren Push-Nachrichten die Verteilung von Informationen aus Redaktionen.
Was könnten die Kriterien für eine Veröffentlichung sein? Mit Sicherheit eine Ausgewogenheit in punkto Themen und Unternehmen auf der Newsseite (Werden Anzeigenkunden automatisch bevorzugt? Eine interessante Frage …). Dabei lernt der Algorithmus aus dem Nutzerverhalten: Welche Themen, welche Produkte und welche Unternehmen laufen gut, welche Rolle spielen Bilder, wie lange dürfen die Texte sein usw. Im Web ist alles digital und damit technisch berechenbar. Es gibt Newsrooms bei Online-Medien, in denen (zugegeben noch ein Mensch) auf Basis der aktuellen Zugriffsstatistik entscheidet, welche Geschichten weiter „gedreht“ werden, also zusätzliche Berichterstattung nachgeschoben wird.
PR der nächsten Generation – Schreiben für den Bot?
Wenn wir das Thema Pressemitteilungen für die Fachpresse weiterdenken, ist es sogar möglich, dass ein Online-Portal auf Basis des individuellen Nutzers entscheidet, welche Auswahl von News er sieht und sich vielleicht sogar neue Pressemitteilungen in Echtzeit von Unternehmen holt. Das muss dann natürlich technisch möglich sein, sowohl die Erkennung, als auch die Bereitstellung in Echtzeit. Das wäre dann so eine Art News-Bot, den sich Nutzer auf ihre eigenen Interessen zuschneiden können.
Wie sieht es mit Fachbeiträgen aus? Welche Rolle spielt die Auswahl durch Journalisten, kann sie durch Algorithmen vielleicht sogar verbessert werden? Können Beiträge von Unternehmen, die bestimmten Standards genügen, auf Online-Plattformen angeboten werden, wenn der Nutzer sich gemäß seinem Profil dafür interessiert?
Welchen Mehrwert hat eine journalistische Online-Plattform gegenüber einer Maschine? Ist es wirklich so schlimm, wenn wir die oben genannten Rahmenbedingungen sehen, die oft nichts mit Relevanz für den Leser zu tun haben? In einer idealen journalistischen Medienwelt wäre der Mehrwert durch den Journalisten unersetzbar: Fachkenntnis, Einschätzung durch persönliche Erfahrung, Wissen über die Relevanz für den Leser- bzw. Nutzerkreis, Ausschluss von Fake-News. Leider entsprechen die Sonntagsreden der Verleger und Herausgeber oft nicht der gelebten journalistischen Praxis unter der Woche. „Objektivität“, „Ausgewogenheit“ oder „zweite Quelle“ sind bekannt, werden aber nicht gelebt.
Wenn ein Algorithmus übernimmt, wer überprüft dann, ob das, was wir sehen, auch das ist, was wir sehen wollen, und nicht das ist, was wir sehen sollen? War das, was wir bisher gesehen haben, nicht sehr subjektiv, ausgerichtet an vielen Kriterien, aber nicht vornehmlich mit dem Leser oder Nutzer im Blick? Wenn wir dem zustimmen, wird die Unterstützung durch Bots in Journalismus und PR gar nicht mehr so unwahrscheinlich. Bots garantieren dabei nicht unbedingt für besseren Journalismus, denn Kontrolle durch Journalisten bedeutet ja nicht zwingend Zensur, sondern auch Prüfung auf Richtigkeit und Relevanz.
Zukunft Roboter-PR
Dann heißt es für PR-Schaffende wie Journalisten aber auch, ihren Platz in der neuen Welt zu finden. Programmierer entwickeln Bots; aber Journalisten sollten darüber entscheiden, was ihre Medien anzeigen und wie das dargestellt wird. PR-Schaffende sollten die Bots „bedienen“ können; Inhalte so aufbereiten, dass sie für Bots darstellbar werden und klarmachen, welche Inhalte sich „verbergen“. Ich bin zu wenig Programmierer um das beurteilen zu können; ich bin aber lange genug in der PR tätig, Medienschaffender und zugleich Konsument um eines zu wissen: die Welt dreht sich weiter; die Indizien zeigen an, dass Bots im Kommen sind und wir uns damit beschäftigen müssen. Die nächste Generation von PR-Treibenden, Öffentlichkeitsarbeitern, Journalisten und Medienmachern wartet nicht – wenn Roboterjournalismus kommt, warum sollte es dann keine Roboter-PR oder PR für Roboterjournalisten geben?
Dankeschön für den guten Artikel. Allein der erste Teil liest sich beinahe wie ein Anleitung für „klassische“ PR.
Beste Grüße