Wenn Sprache nichts sagt: „Angebotssorgen von Nachfrageängsten überschattet“

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Bild zeigt einen Mann mit Bart, der sich verzweifelt eine Hand vor das Gesicht hält. Im HIntergrund Wand aus rotem Weinlaub.

Es sind solche Schlagzeilen, wie sie von einer Online-Plattform tatsächlich zusammengestöpselt wurden, die mich auf die Idee bringen, dem „Rat für deutsche Rechtschreibung – die maßgebende Instanz für die deutsche Rechtschreibung“ einen wirklich sinnvollen Job zu geben: nicht nur den Wortschatz zu entrümpeln und neue Wörter aufzunehmen, wie es wieder jüngst der Fall war.

Dieser Vorgang ist sowieso wenig spektakulär, weil der Rechtschreibrat und damit auch der Duden dem praktizierten Wortschatz immer hinterherhinken. Kaum steht die neue Ausgabe in den Regalen, prompt kreiert das Leben neue Buchstabenkombis und Begriffe.

Ein relevanter Job für die Sprachwächter

Viel spannender dagegen wäre es, wenn der Rat aus 41 Mitgliedern, die alle irgendwas mit Sprache zu tun haben, Wörter oder Wortkonstruktionen auf eine schwarze Liste setzen würde. Das wäre mal eine Maßnahme, ein Segen für die Menschheit. Ähnlich dem „Schwarzbuch“, in dem die Verschwendung von Steuergeld dokumentiert ist und das kostenlos erhältlich ist, könnte und sollte es ein „Schwarzbuch Sprache“ geben. Als Ergänzungsband des Dudens. Eröffnen wir das Projekt bei A mit den „Angebotssorgen“.

Behördendeutsch ist kein Deutsch

Viel Recherchearbeit hätte die Redaktion nicht, um das Buch auf mehrere hundert Seiten aufzupumpen: Nähme sich die Redaktion alle behördlichen Formulare vor, das „Schwarzbuch Sprache“ wäre fast fertig. Ein wenig Vorarbeit hat der MDR-Journalist David Straub schon geleistet. In seiner 30-Minuten-Doku „Alptraum Behördenpost – Wer versteht das komplizierte Deutsch vom Amt?“ serviert er nicht nur haarsträubende Beispiele für Sprachschändung. Die Dimension des Unheils, das ein unverdaulicher Sprachsalat erzeugt, ist groß. Das berichten Betroffene. Schauen Sie sich das gerne in der Mediathek an; oder brauchen Sie das nicht, weil Sie Ihre Einkommenssteuererklärung selbst machen? Alles klar.

Raten Sie bitte: Was ist ein „raumübergreifendes Großgrün“? Die Auflösung finden Sie am Ende des Beitrags.

Wo leben wir eigentlich?

Der MDR-Beitrag könnte ja lustig und amüsant sein, würden durch das „rechtssichere“ Gequirlte nicht Menschen unter Stress gesetzt, würden sie dadurch nicht mittellos werden, ihre Wohnungen verlieren und auf der Straße landen. Kein Wohnsitz, kein Job. Es ist nicht witzig, es ist tragisch.

Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter helfen Menschen, zu verstehen, was Behörden fordern. Der Beitrag zeigt, dass es sogar eigens Hilfsorganisationen gibt, die vornehmlich damit beschäftigt sind, behördliche Formulare zu verstehen und korrekt auszufüllen. Wusste ich nicht. Aber ist das nicht entsetzlich? Sabine Bier ist in Erfurt Sozialarbeiterin bei der Beratungsstelle „KIK – Kontakt in Krisen“: „Es ist die blanke Katastrophe“, sagt sie über die Not ihrer Kundinnen und Kunden, die zum Beispiel den achtseitigen Antrag auf Wohngeld nicht ausfüllen können.

In welchem Land leben wir eigentlich, in dem sich Staatsdiener durch herrschaftliche Sprache zu Autokraten aufschwingen können und die Bürgerinnen und Bürger in den Wahnsinn treiben? Gesenkte Bürgersteige und Aufzüge an U-Bahnhöfen im Sinne der Inklusion sind toll. Jetzt müssten bitte nur noch die Formularerfinder das Nicht-Diskriminierungsverbot einhalten.

„Ich stehe über dem Bürger“

Michaela Blaha ist die Geschäftsführerin der „IDEMA GmbH – Gesellschaft für verständliche Sprache“. (Was IDEMA bedeutet, konnte ich nicht enträtseln.) Unter anderem berät sie Behörden und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. In ihren Kursen hört sie nicht selten Aussagen wie „ich stehe aber über dem Bürger“ und „warum soll ich mich auf ein so niedriges Niveau begeben“. Ihr entmutigendes Fazit: „Auf Einsicht braucht man da nicht zu warten (…) Ich glaube, dass hier letzten Endes Druck ausgeübt werden muss, dass sich tatsächlich was verändert.

Wer möchte reich werden?

Bis sich der Tanker Bürokratie wendet, bis der behördliche Sprachmurks ausgemerzt ist und in verständlicher Sprache daherkommt, wäre eine schnellere Lösung zum Beispiel eine Übersetzungs-App: Mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz werden die verschwurbelten Wort- und Satzungetüme deutscher Formulare in eine einfache Sprache übersetzt – trainiert mit sämtlichen Anträgen, die es in diesem Land gibt. Und das sind viele. Allein das Jobcenter ist Autor von mehr als 300 Formularvorlagen. Wer diese App entwickelt, könnte richtig reich werden oder, ganz selbstlos, das „Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland“ ergattern. Aber ich ahne schon den Grund des Scheiterns: Niemand kann den Behördenjargon in verständliche Sprache übersetzen, weil selbst die Autoren nicht mehr wissen, was sie eigentlich sagen wollen.

Alles Schreddern

Bei Gebäuden, wenn die Substanz unrettbar grottig ist, hilft nur noch ein Abriss – bis auf die Grundmauern. Das scheint mir auch bei den behördlichen Formularen angebracht und die beste aller Lösungen. Alle in den Schredder stopfen. Danach bildet sich ein kompetentes Team, um völlig neu zu formulieren. Juristinnen und Juristen müssen draußen bleiben genauso wie alle Sprachwissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler, eigentlich alle, die professionell mit Sprache zu tun haben und die oft das Ziel haben, die Eleganz und Spitzfindigkeit des Deutschen bis auf den Brunnengrund auszuschöpfen. Stattdessen setzt sich das Autorenteam aus Personen zusammen, die bei den Hilfsorganisationen um Unterstützung bitten. Zehn dürften reichen. Supervision leisten Menschen, die wissen, welche Angaben die Behörde wirklich für ihren Job braucht. Ohje, das weiß vermutlich auch niemand so genau.

Und wir von der PR?

Hand auf’s Herz. Auch PR-Profis vergaloppieren sich hin und wieder beim Sprachstil. Ich kann mich gut an meine Anfängerzeit erinnern. Frisch entlassen aus dem KW- und Germanistikstudium und als Fan von Thomas Bernhard waren Passiv-Sätze, die sich über mehr als zehn Zeilen zogen, mein ganzer Stolz. Verstanden hat die aber kaum jemand beim ersten Lesen. Und da wäre ich beim Casus knacksus: das erste Lesen.

Wenn die Leserin oder der Leser einen Satz nicht sofort versteht, ist er schlecht. Weg damit. Niemand liest einen Satz zwei Mal; schon gar nicht Journalistinnen und Journalisten. Gezwungenermaßen lese ich natürlich behördliche Formulare nicht nur ein-, sondern zwanzig Mal. Und manchmal friert mein Gehirn richtiggehend ein, kann sich mein geweiteter Blick über Minuten nicht lösen von Überschriften wie „Angebotssorgen von Nachfrageängsten überschattet“.

Vielleicht sollten wir PRler das sinnlose Gestammel als Trick benutzen, damit unsere Presseinfos auch diese Aufmerksamkeit bekommen? Aber um derartigen Blödsinn zu texten, braucht’s sieben Fässer Wein. Schnaps! war womöglich bei meinem Rätsel im Spiel.

Auflösung: „raumübergreifende Großgrün“ = Baum.

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