Wird LinkedIn das „Facebook für Krawattenträger“?

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Ein „Facebook für Krawattenträger“ hat Max Muth in meiner geliebten Süddeutschen Zeitung mein ebenso geliebtes LinkedIn im vergangenen Dezember wenig charmant genannt. Aber stimmt das denn? Ist die ehedem so seriöse Plattform für Fach- und Führungskräfte aller Branchen wirklich so heruntergekommen wie das „ZDF der Social-Media-Kanäle“ (Kausch über Facebook)?

LinkedIn kann ja schon mal gar kein Facebook für Krawattenträger sein, weil es kaum noch Krawattenträger gibt, aber immerhin rund 20 Millionen LinkedIn Accounts allein in Deutschland. Und immer mehr von ihnen nutzen LinkedIn auch aktiv.

Die Top Voices auf LinkedIn

Natürlich suchen nach wie vor viele LinkedIndianer*innen über das zu Microsoft gehörende Netzwerk primär eine neue berufliche Position oder eben neue Mitarbeiter*innen. Oder sie wollen sich – beruflich – profilieren, am besten als sogenannte „Top Voice“ oder „Key Opinion Leader“. Einige wenige deutsche CEOs betreiben eine solche Kommunikationsstrategie relativ erfolgreich. Hervorzuheben sind vor allem Ola Källenius von Mercedes Benz, Christian Klein von SAP, Roland Busch von Siemens und Timotheus Höttges von der Deutschen Telekom. Diese vier führen aktuell das Ranking unter den deutschen DAX-CEOs auf LinkedIn an. Mit ihren 150 bis 270 Tausend Followern liegen sie aber Äonen hinter ihren US-amerikanischen Vorbildern wie Tim Cook von Apple und Satya Nadella von Microsoft, die mit jeweils rund 14 Millionen Followern auf LinkedIn uneinholbar vorne liegen.

Die Amerikaner sind ganz allgemein nicht nur aktiver, sondern auch meinungsfreudiger auf LinkedIn. Und „meinungsfreudiger“ heißt häufig auch „mutiger“: Sie schreiben bereitwilliger über Politik und Privates und publizieren öfter mal Meinungen und Deinungen, nicht gleich so spontan wie Donald aus dem Spielzimmer des Weißen Hauses auf Truth Social, aber doch in einer Form, die schon mal zum Widerspruch auffordert und im Ton – sagen wir mal – „markant“ ist.

Auch auf LinkedIn werden die Zeiten härter

Und da wird dann natürlich der Übergang zu Facebook fließend. Max Muth stört das:

„Auf Linkedin werden zunehmend auch politische oder gesellschaftliche Themen diskutiert, und das gelegentlich mit äußerst harten Bandagen.“ Und er verweist auf eine Kultur, die in der Tat zunehmend auch auf LinkedIn – wie auf anderen sozialen Plattformen – immer öfter verwahrlost und gelegentlich die Grenzen des in Deutschland erlaubten überschreitet. Dann wird gelogen, verleumdet und einzelne Personen werden sehr bewusst gedemütigt und, man kann es nicht anders sagen, verbal gefoltert.

Die SZ zitiert Johannes Ceh, ein wirklich liebenswerter und zugleich mutiger Kollege auf vielen sozialen Plattformen, der von rechtsradikalen Verleumdern in den letzten Jahren immer wieder massiv angegangen wurde und mit den „Digital Streetworkers“ eine Betroffenen-Hilfe aufgebaut hat. (Kleiner Tipp: ein hörenswerter Podcast von Claudia Nemat mit Johannes Ceh)

LinkedIn verfügt wie alle anderen sozialen Plattformen über viel zu wenige aktive Mitarbeiter*innen, um gegen Falschinformationen und kriminelle Inhalte ausreichend vorzugehen. Auf der anderen Seite werden immer häufiger Profile von LinkedIn-Mitgliedern von LinkedIn auf Grund falscher Anschuldigungen anderer Mitglieder gesperrt. Dies behaupten jedenfalls betroffene NGOs und immer häufiger auch kritische Journalist*innen, die zum Beispiel auf LinkedIn über Reichsbürger oder andere rechtsradikale Strömungen recherchieren und berichten. Der Verdacht: Es werden Accounts von Mitgliedern gehackt und dazu genutzt kritische Accounts anzuschwärzen. Diese werden dann automatisiert von LinkedIn gesperrt. Journalisten oder NGOs können sich gegen solche Sperren aber nur sehr aufwändig direkt bei LinkedIn in Irland wehren. Das kostet Zeit und sehr viel Geld. Journalisten und NGOs verfügen leider in der Regel weder über das eine noch das andere.

Nicht zuletzt wird mit der steigenden Akzeptanz LinkedIn natürlich auch zunehmend attraktiv für professionelle Agitatoren, etwa für die politische Instrumentalisierung durch ausländische Geheimdienste.

Auf LinkedIn wird heute zunehmend mit harten Bandagen gekämpft

Die drei verhängnisvollen Trends für LinkedIn

Nun kommen also gleich drei Trends zusammen:

a) LinkedIn wird immer größer und wird so interessant für professionelle kriminelle Agitatoren, die heute zum Beispiel in Russland sitzen oder zur organisierten Kriminalität zu rechnen sind.

b) LinkedIn wird von professionellen „Top Voices“ aus gutem Grund zunehmend zur Kommunikation nicht nur sachlicher, sondern meinungsbehafteter Inhalte genutzt.

c) Auf LinkedIn bewegen sich immer mehr Anwender, die über zu wenig Wissen verfügen, um ihre Accounts ausreichend vor illegalen Hacker-Angriffen zu schützen. Man kann es gar nicht oft genug sagen: Nichts führt an 2FA vorbei!

Boring LinkedIn

LinkedIn scheint also ein Opfer des eigenen Erfolgs zu werden. Aber kommen wir zurück zu Max Muth. Mit seinem Artikel vom Dezember in meiner geliebten Süddeutschen Zeitung habe ich meinen kleinen Beitrag hier ja angefangen. Im Januar hat MM wieder über LinkedIn geschrieben. Er arbeitet sich grad an dem Thema ab. Das ist ganz gut so. Das zeigt, dass er mit seinem Agenda Setting ganz gut bei der Sache ist. Und auch seine Einschätzung zu LinkedIn teile ich weitgehend. Im Januar erklärt er den Erfolg von LinkedIn mit dessen langweiligen Inhalten: „Auf Linkedin wollen die Menschen mit Chefs befreundet sein, vermutlich weil die in einem Karrierenetzwerk das Sagen haben. Sie entscheiden schließlich über Karrieren. Vielleicht ist das ein weiterer trauriger Grund für den Erfolg der Plattform, dass sie nämlich – anders als alle anderen Netzwerke – nicht versucht, das Gatekeeping der alten, analogen Welt aufzubrechen, sondern im Gegenteil versucht, die feudalistische Ordnung wiederherzustellen. Es ist, als hätten wir Social Media einmal komplett durchgespielt und starten jetzt wieder bei null.“ Kurz und bündig: „In einem Karrierenetzwerk … werden Chefs nur selten vor den Kopf gestoßen. Auch wenn sie eher Uninteressantes oder sogar Quatsch erzählen.“

Für die Vergangenheit mag das stimmen. Denn sehen wir uns einmal kurz an, wie der Algorithmus von LinkedIn funktioniert:

Der Algorithmus stabilisiert in LinkedIn bestehende Hierarchien

Im Gegensatz zu Facebook oder dem guten alten Twitter (dem heutigen furchtbaren X) spielt bei LinkedIn das Nutzerprofil eine herausragend wichtige Rolle. Und zwar indirekt über die Vernetzung. Die Sichtbarkeit der eigenen Beiträge, egal ob Posting oder Artikel, hängt zum guten Teil davon ab, wie stark das eigene Profil mit qualitativ hochwertigen Kenntnissen durch andere wertvolle Profile bestätigt wurde. Denn daraus schließt LinkedIn auf die Qualität des Content-Erzeugers.

Ebenso wertvoll sind natürlich die Reaktionen der Lesenden, vor allem das Kommentieren und das Teilen. Das ist erheblich wichtiger als ein bloßer Like. Und auch hier wird berücksichtigt, wie prominent der Kommentator bzw. Sharer ist. Das kann man natürlich beeinflussen, etwa durch das Markieren – das „Taggen“ – von Personen. Dies gelingt aber umso leichter, je besser man selbst vernetzt ist.

Klar ist damit auch, dass ein Call-to-action wichtig ist. Nicht schlecht also, wenn man seine Beiträge gelegentlich durch eine Frage beendet.

Auf die Qualität des Contents schließt LinkedIn auch an Hand der Verweildauer. Dieses Prinzip kennt ja auch Google in seinem Such-Algorithmus. Und überhaupt gelten die klassischen Tipps zur Suchoptimierung natürlich auch für LinkedIn: Wichtig sind die Keywords und deren Platzierung, recht unsinnig sind Hashtags.

Berücksichtigt man nur diese wirklich relevanten Regeln des LinkedIn-Algorithmus sieht man schon, dass diese Regeln zu einer gewissen Stabilisierung von Herrschaft im Machtgefüge der LinkedIn-User führen: Wer oben ist, bleibt eher oben, wer unten ist hat es schwer, nach oben zu kommen. Die klassischen One-hit-wonder sind bei LinkedIn seltener als in Facebook oder Instagram. Dies liegt einfach daran, dass LinkedIn stärker ein Netzwerk ist und viel mehr über seine Mitglieder weiß als die anderen Plattformen.

Wird LinkedIn das Facebook für Krawattenträger?

Also was jetzt: Wird LinkedIn das Facebook für Krawattenträger?

Und trotzdem ändert sich gerade etwas in LinkedIn. Es ändert sich der Ton. Und der macht die Musik. Der Ton wird rauer, wie überall zurzeit, wie in Facebook, wie im Weißen Haus, im Kanzleramt und in der Straßenbahn. Aber, und da bin ich zuversichtlich: LinkedIn wird kein Facebook für Krawattenträger. Und auch kein Facebook für hippe Manager im schwarzen Rolli. Nadella wird ja auch kein Zuckerberg und kein Musketier. Wir müssen LinkedIn aber dazu bewegen, die in Deutschland geltenden Gesetze des Persönlichkeitsschutzes zu beachten. Dafür muss Microsoft endlich die notwendigen Ressourcen bereitstellen. Es trifft ja keinen Armen.


Übrigens: Ja, ich bin abgrundtief parteiisch. Als sogenannter „LinkedInsider“ war ich als externer Berater im Vorfeld der Gründung von LinkedIn Deutschland an der Aufbereitung der Go-to-Market-Strategie des Netzwerks beteiligt. Ich kannte aus alter Zeit einen der Gründer von LinkedIn. Geld habe ich dafür nie gesehen. Es war mir eine Ehre. Und das ist es heute noch. So wie das Lesen der Süddeutschen Zeitung mir (fast) immer ein Vergnügen ist. Abgesehen vom Sportteil, wenn es um diesen einen Münchner Vorstadtverein geht… Aber das ist eine andere Geschichte… Die gehört nicht hierher, aber inzwischen natürlich auf LinkedIn 😉.


© alle Illustrationen vibrio mit KI Unterstützung Adobe Firefly

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