Der Sound im Netz – Eine Umfrage zum Stand von Social Media in der High End Branche
Im September 2016 führte vibrio eine Umfrage unter Herstellern und Distributoren der High End Branche zur Nutzung von Internet und Social Media im Marketing durch. Dabei ging es um die Vorbereitung eines Workshops zum Social Media Marketing, der am 6. Oktober bei der High End Society in Wuppertal durchgeführt wurde. Insgesamt haben wir rund 300 Hifi-Unternehmen aus Deutschland angeschrieben. 57 Unternehmen nahmen an der Befragung teil.
Die Umfrage unter High-End-Anbietern – nicht-Eingeweihte sagen einfach Hifi-Anbieter ! – ist nicht die erste Auseinandersetzung der Agentur mit dieser Branche. Vor einem Jahr bereits habe ich an dieser Stelle eine kleine Analyse zum Stand von Social Media im High-End-Markt in zwei Teilen vorgelegt. Und seit einiger Zeit betreuen wir die Website und die Facebook-Seite der RESTEK AG, einer renommierten deutschen High-End-Manufaktur, die vor allem für ihre Tuner berühmt ist. Ich selbst bin der hochwertigen Musikwiedergabe seit vielen Jahren verfallen und höre u.a. mit einem RESTEK EPOS CD-Spieler.
Überblick: High End ist online – aber warum eigentlich?
Die wichtigsten Ergebnisse der Umfrage im Überblick:
- Die meisten deutschen High-End- und Hifi-Hersteller setzen bereits Online- und Social-Media-Marketing ein.
- Das Wissen um die Möglichkeiten der einzelnen Plattformen und Kanäle ist begrenzt. Insbesondere Facebook wird als Allheilmittel überfordert.
- Die Unternehmen modernisieren ihr Marketing mit Hilfe sozialer Medien, tasten aber ihre Vertriebsstrukturen nicht an. Online-Marketing und stationärer Vertrieb leben nebeneinander her.
Soziale Medien werden von der High End Branche ernst genommen
Die übergroße Mehrheit der Befragten ist davon überzeugt, dass Internet und soziale Medien für das Kaufverhalten ihrer Kunden immer wichtiger wird:
- 87,5 % stimmen der Aussage voll oder überwiegend zu: „Das Internet wird für Kaufentscheidungen unserer Endkunden immer wichtiger.“
- Immerhin 79 % behaupten das Gleiche für soziale Medien: „Soziale Medien werden für Kaufentscheidungen unserer Endkunden immer wichtiger.“
- Konsequent erklären vier von fünf Befragten: „Das Internet wird als Vertriebsmedium in der High-End-Branche immer wichtiger.“
Dabei wird das Internet als Vertriebsmedium so gut wie nirgends genutzt. An der Fixierung auf den stationären Handel ändert sich kaum etwas.
Hingegen erwarten viele Hersteller, dass das Internet die Position des Fachhandels stärkt:
- 66 % der Befragten erwarten, dass das Internet den Fachhandel stärkt.
- Nur 35 % sehen Internet und Social Media auch als Bedrohung für den Fachhandel.
- Allerdings glauben jeweils rund 75 %, dass der Fachhandel zu wenig von sozialen Medien und vom Internet versteht.
Die Verantwortung für eine positive Nutzung der Potentiale von Internet und Social Media wird gerne auf den Fachhandel geschoben. Überhaupt wird die Herausforderung für das eigene Unternehmen bei weitem nicht von allen gesehen:
- Nur 7 % befürchten, dass Internet und Social Media die Existenz der High-End-Branche gefährden könnten.
- Das eigene Unternehmen sehen gar nur 5 % existenziell herausgefordert.
Die Website soll verkaufen – soziale Medien sollen die Marke kommunizieren
Dabei setzen die High-End-Unternehmen heute vor allen Dingen auf Facebook, gefolgt von YouTube. Andere soziale Medien werden bislang nur von einer Minderheit genutzt:
- Rund 80 % verfügen über eine Homepage.
- Rund 60 % nutzen Newsletter und Facebook.
- Rund 55 % nutzen YouTube.
- Rund 80 % können sich die Nutzung dieser Medien vorstellen.
- Auffällig: Einen Blog können sich immerhin 55 % vorstellen. Die Marktdurchdringung ist noch gering.
Die eigene Homepage soll der Verkauf ankurbeln, beinhaltet aber selten einen Shop. 70 % wollen über die Homepage mit dem Kunden kommunizieren, aber auf das typische Instruments für einen Dialog – auf einen Blog – verzichten die meisten:
Den sozialen Medien traut man eine Vertriebsunterstützung kaum zu:
Social Media soll vor allen Dingen die Markenbekanntheit erhöhen:
Facebook über alles
Die Hoffnungen der High-End-Anbieter ruhen vor allen Dingen auf Facebook. Diese Plattform soll für alles herhalten und wird so völlig überfordert:
Das mag daran liegen, dass die meisten Entscheider der Branche Facebook eben kennen: von sich selbst oder von ihren Kindern.
Social Media Marketing ist das Marketing der Missverständnisse
Soziale Medien werden eher genutzt, denn verstanden. So entsprechen die Erwartungshaltungen häufig nicht den Qualitäten der einzelnen Kanäle:
- Facebook ist tatsächlich KEIN guter Service-Kanal und unterstützt nicht stärker als andere Kanäle die Sichtbarkeit der Homepage.
- Twitter steigert KAUM die Markenbekanntheit, sondern analysiert und beeinflusst das Zeitgespräch der Branche. Und Twitter kann sehr wohl den Vertrieb unterstützen!
- Blogs sind Kommunikationsinstrumente und unterstützen hervorragend und mehr als alle anderen Plattformen die Sichtbarkeit der Homepage. Dass viele sich ihren Einsatz vorstellen können, die wenigsten aber angeben können, wozu so ein Blog eigentlich taugt, verspricht immerhin Potential.
- Das weitgehend ignorierte Slideshare unterstützt ebenfalls hervorragend die Sichtbarkeit der Homepage – so man es nutzt.
Zwei von drei der Befragten schätzen sich selbst durchaus als kenntnisreich im Umgang mit sozialen Medien ein:
- 80 % der Hersteller halten sich für gut oder sehr gut über Social Media informiert.
- Fast 90 % der Distributoren fühlen sich gut informiert.
Dabei hängt die Selbsteinschätzung stark von der Größe des Unternehmens und – wenig überraschend – dem Alter der Befragten ab:
Problematisch in diesem Zusammenhang ist natürlich, dass die High-End-Branche zu einem nicht unerheblichen Teil von „netten älteren Herren“ beherrscht wird. 😉
Noch einige konkrete Zahlen:
Viele Hoffnungen ruhen auf der High End Society
Übrigens: Mehr als 90 % der High-End-Hersteller wünschen sich eine Unterstützung im Online- und Social-Media-Marketing durch die High End Society, den Verband der hochklassigen High-End-Hersteller, in dem sich kleine Manufakturen ebenso wie große internationale Unternehmen versammeln.
Was tun? Meine abschließende Einschätzung
Die High-End-Branche befindet sich an einem Scheideweg:
- Nie zuvor waren mehr Menschen ökonomisch in der Lage sich aufwendige Gerätschaften für eine hochwertige Musikrezeption zu leisten.
- Die Diskussion um die richtige Work-Life-Balance und die Debatte um nachhaltige Werte unterstützen tendenziell die Besinnung auf das Kulturgut Musik.
- Heute genießt der Konsum von Musik wieder ein breites Interesse – wenngleich die meisten Menschen schlecht aufgenommende und abgemischte Populärmusik in schlechter Wiedergabetechnik mit scheppernden Billigkopfhörern zu sich nehmen – weil sie es nciht besser wissen!
- Gleichzeitig verpasst die Branche die grundlegenden Veränderungen im Kommunikations- und Kaufverhalten ihrer potentiellen Kunden: ihr Online-Angebot bleibt häufig eine Digitalversion klassischer Werbung und Generalanzeigerpresse; der Fachhandel soll’s richten, ist aber völlig überfordert; viele High-End-Macher denken produktverliebt in Lötstellen, statt in Kundeninteressen.
- Allzu viele Anbieter machen es sich in der vermeintlich gemütlichen Nische der Luxusartikler gemütlich. In der Folge werden die High-End-Fans der Zukunft von Messen mit Edel-Kabeln zu Meter-Preisen von mehreren tausend Euro abgeschreckt. Einer Marktbefragung der High End Society zufolge wissen viele potentielle High-End-Kunden einfach nicht, wo sie sich informieren können. Sie fühlen sich missachtet und ignoriert.
Der Markt erfordert ein mehrfaches Umdenken:
- Schallplattenspieler mit fünfstelligem Preisschild haben ihre Berechtigung. Aber sie dürfen die qualitativ hochwertigen Einsteiger-Spieler nicht verdrängen: nicht aus den Medien, nicht auf den Messen, nicht im Fachhandel, nicht im Marketing und nicht in der Wahrnehmung der Kunden.
- Die Macher der Branche müssen lernen, vom Kunden her zu denken. Der Hörer will häufig einfach nur gut Musik hören und deshalb auch mittel- und langfristig über Musik und Musiker reden und lesen, und nicht oder nicht ausschließlich über technische Geräte-Features, Stör- und Rauschabstände. Die Branche muss Storytelling lernen.
- Der Kunde tauscht sich über seine Erfahrungen mit High-End-Geräten mit seinesgleichen aus. Empfehlungsmarketing aber ist den meisten High-End-Anbietern noch immer ein Fremdwort.
- Der Kunde recherchiert im Internet und er ist bereit auch teuere Gerätschaften heute online zu kaufen. Da ernsthaftes Hören aber ein Probehören beim Händler und schließlich zuhause im Hörraum voraussetzt, muss die Trennung von Online-Marketing und stationärem Handel überwunden werden. Hier kann der High-End-Branche sogar eine Vorreiterrolle bei der Entwicklung neuer hybrider Marketing- und Vertriebsformen zukommen.
Hören und twittern gehören zusammen 😉
Dein Kommentar
Want to join the discussion?Feel free to contribute!