media innovation camp: die Suche nach dem heiligen Gral geht weiter
Insgesamt kamen am Freitag auf dem media innovation camp #micmuc des Media Lab Bayern, das am 22./23. März 2019 bei Google in München stattfand, 25 Sessions aus ca. 180 Teilnehmern zustande. Das Camp orientierte sich streng am Barcamp-Format. Erstaunlich war, dass nur wenige Angebote zusammengefasst wurden und dass tatsächlich alle Anbieter die Chance erhielten, ihr Thema unterzubringen. Naturgemäß kann man kaum 25 Sessions besuchen, selbst zwei am Vormittag und zwei am Nachmittag fallen bereits schwer, wenn man sich in den Pausen oder beim Raumwechsel verquatscht. Deshalb möchte ich gar nicht erst versuchen, hier eine inhaltliche Zusammenfassung vorzunehmen. Ich möchte nur ganz kurz anhand des Gesehenen und Gehörten ein Stimmungsbild vermitteln. Meine Eindrücke beziehen sich dabei sowohl auf Sessions, die ich besuchte, als auch auf die Gespräche zwischen den Sessions, in den Pausen und auf der Party.
Kein Flugtaxi für Medien in Sicht
Spoiler – also die Essenz oder das Fazit gleich zu Beginn. Die klassischen, werbefinanzierten Medienhäuser tun sich mit der Digitalen Transformation weiterhin schwer. Wer auf diesem Barcamp auf die erleuchtende Idee hoffte, um für seine gedruckte Zeitung oder seinen Sender das Überleben bis ins nächste Jahrhundert zu sichern, war fehl am Platze. Lina Timm, Directorin des Media Lab, die das Barcamp moderierte, stellte auch gleich in der Eröffnungsrede fest, dass „der heilige Gral“ für Medien noch nicht gefunden sei. Selbst dem bayerischen Medienminister Florian Herrmann fehlte auf die treffende Frage (Chapeau für diese Frage Lina) nach dem „Flugtaxi für die Medien“ die konkrete Antwort, obwohl die CSUler doch sonst so redefreudig sind bei dem Thema. Alte Geschäftsmodelle, die noch nicht tot sind, bringen Medien nach wie vor Geld, sichern das Überleben – neue Geschäftsmodelle, die auch nur annähernd die Werbeerlöse der alten erzielen könnten, lassen aber weiter auf sich warten.
Blockchain und Künstliche Intelligenz sind auch nur Technologien
Auch neue IT-gestützte Technologien, vertreten durch die Buzzwords „Künstliche Intelligenz“ und „Blockchain“, werden die althergebrachten Medien nicht retten. Künstliche Intelligenz wird im Journalismus und den Medien Einzug halten, wie im Lebens- und Arbeitsalltag generell. Routineaufgaben werden dem Menschen abgenommen, was Zeit für höherwertige Aufgaben freischaufelt – aber ein neues Geschäftsmodell….?
Und die Blockchain, die berühmt-berüchtigte fälschungssichere dezentrale Datenbank der Bitcoin-Milliardäre und -Pleitiers, wie kann sie den Medien helfen? Medien-Startups, die sich mit Blockchain beschäftigen, gibt es wohl einige; jedoch bleibt mir auch hier der Nutzen unklar. Verifizierte Nachrichten, also quasi Tagesschau mit Echtheitszertifikat, kann das die Blockchain? Natürlich kann sie es, aber wofür, wenn ich Fakenews mit Blockchain genauso fälschungssicher machen kann. Unternehmen könnten die Echtheit ihrer Pressemitteilungen garantieren; ja schon, die Arbeit der Journalisten aber, die Pressemitteilung zu prüfen, zu ergänzen, einzuordnen etc. macht ja schon wieder eine neue Meldung daraus. Auch für Micropayment-Verfahren von Medienangeboten stehen mittlerweile viele Plattformen und Technologien zur Verfügung; da mag die Blockchain die Auswahl um eine Technologie erweitern; aber um bezahlte journalistische Angebote im Web attraktiver zu machen, ist sie eher nicht notwendig.
Keine Lösungen für Süddeutsche Zeitung, Nürnberger Nachrichten, RTLProSiebenSat1 also? Diversifizierung des Angebots, Ausweitung der Internet-Angebote, Nutzung von Social Media, Personalisierung usw. Die Rezepte, die angerissen wurden, sind alle schon hundertfach diskutiert, hatte ich das Gefühl.
Unternehmen werden zu Medien und die Konsequenzen?
Für mich waren jedoch zwei Themen auffällig, die sich allerdings nicht explizit in der Sessionplanung am Freitag abgebildet haben. Erstens scheint es mittlerweile auf Veranstaltungen von und für Medien akzeptiert zu sein, dass eine Verquickung zwischen Unternehmen und Journalismus stattfindet. Unternehmen stellen Ihre Innovations- und Change-Konzepte vor, Microsoft seine KI-Software- und Aktivitäten, Fintechs preisen sich an. Sie alle erhalten damit im Rahmen der Veranstaltung eine PR-Plattform vor vornehmlich jungen Journalisten; was ja nicht zu verachten ist. Es zeigt sich für mich, dass Journalismus als Handwerk mittlerweile nicht nur für Medien interessant ist, sondern deutlich mehr Einsatzgebiete adressiert. Vielleicht müssen sich Journalisten davon verabschieden, dass „der wahre Journalismus“ nur noch bei Medien zu finden ist.
Offenbar bieten, nicht zuletzt Technologie-Unternehmen wie Microsoft und Google, auch ein Umfeld in dem journalistisches Arbeiten möglich ist. Da diese Unternehmen ihre Milliardenumsätze in anderen Bereichen generieren, fallen hier vielleicht/wahrscheinlich/tatsächlich nicht unbeträchtliche Summen ab, handwerklich guten Journalismus zu machen; transparent im Auftrag eines Unternehmens (so verkauft man nicht gleich seine Seele). Blogs und stetig wachsende Newsrooms zeigen, dass „Unternehmen zu Medien“ werden, dass sie das Mantra des Content Marketing und Storytelling zunehmend konsequent umsetzen.
Daten als das neue Öl für den Journalismus
Zweitens war der Freitag, sowohl in Sessions, Gesprächen und Vorträgen vom Thema Daten dominiert. Wie in jedem anderen Lebens- und Arbeitsbereich auch, spielen Daten eine zunehmende Rolle im Journalismus oder journalistischen Projekten. Daten sind das neue Öl, heißt es, vielleicht auch für den Journalismus: sei es durch SEO-getriebene Homepages von Medien, durch Analytics in Newsrooms von Unternehmen, Beispiel Microsoft, und Corporate Blogs, Beispiel Trivadis, oder durch algorithmenbasierte Personalisierung von Medienangeboten, Beispiel newsadoo. Immer muss ein Datenschatz zugrunde liegen. Vieles, was früher durch aufwändige Leseranalysen oder zweifelhafte Einschaltquoten als Feedback an die Redaktionen floss, bekommt man heute über das Internet „automatisch“ mitgeliefert.
Aber auch journalistische Inhalte werden zunehmend über Daten generiert: Beispiele dafür gibt es mittlerweile einige, Mietentwicklungsstatistiken, Umweltanalysen, Wahlauswertungen, mit interaktiven Infografiken multimedial aufbereitet für Internet, Fernsehen und Zeitungen. Dafür braucht es Daten-Nerds mit journalistischem Verständnis, sei es als Zulieferer in Großredaktionen oder Spezialisten, vermutlich als Freelancer. Hier ist es an der Zeit, eine Lanze für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu brechen: Meiner Meinung nach auch für seine intensive Online-Präsenz. Denn nur durch die garantierten Rundfunkgebühren können hier unabhängig von Unternehmensinteressen Projekte wie der sogenannten Datenjournalismus entwickelt und ausprobiert werden, wie der Bayerische Rundfunk zeigt. Den Werbe- und Abo-finanzierten Medienhäusern dürfte für derartige Projekte langfristig die Luft ausgehen; ob die journalistische Datenanalyse vor dem Hintergrund der finanziell schwächelnden Medienhäuser als Start-up eine Chance hat, wage ich zu bezweifeln.
Insofern ist mein Fazit des ersten Tages (nur den konnte ich leider besuchen): im Beruf des Journalisten*in ist weiterhin Musik drinnen; nur die Arbeitgeber wandeln sich. Man kann den Nachwuchs nur dazu aufrufen, Journalismus nicht nur im politisch-aufklärerischen-investigativem Sinn („mit Haltung“, wie das heute so schön heißt) zu betreiben, sondern ihn durchaus auch als Handwerk zu sehen, das mittlerweile in vielen Branchen gefragt ist. Es gibt heutzutage weit mehr als den Pressesprecher*in in Unternehmen. Und inhaltlich gesehen bietet die Digitale Transformation nicht nur mit Datenjournalismus, sondern auch mit Themen wie KI usw. weiterhin ein umfangreiches Betätigungsfeld für technisch affine Jung- und Alt-Redakteure.
Danke für die gute Zusammenfassung! Die Einschätzung, dass viele Medien die Möglichkeiten datengetriebener Inhalte mangels selbst überschaubarer Budgets gar nicht mehr nutzen können, ist sicher richtig. Das Problem sind dabei gar nicht die paar hundert Euro pro Monate für Tausende personalisierter und regionalisierter News, sondern unflexible CMS, die externe Inhaltezulieferung oft nur mit Verrenkungen oder gar nicht zulässt. IT-Projekte aber werden, egal wie sinnvoll, oft gar nicht mehr bewilligt.