Warum reden Kommunikationsberater bei der Digitalen Transformation mit
Warum reden ausgerechnet Kommunikationsberater bei Fragen der Digitalisierung und Digitalen Transformation mit? Reicht dafür womöglich schon ein ordentlich bespielter Twitter- (oder Snapchat- oder Instagram- oder Tiktok- oder LinkedIn-) Account aus? Eine Frage, die sich mir und vermutlich anderen in letzter Zeit immer häufiger stellt. Durch die Arbeit an zwei laufenden Projekten werde ich derzeit wieder etwas schlauer, und bin mir jetzt sicher. Die Antwort lautet ganz knapp und einfach: Ja. Wir, die Kommunikationsberater, können bei Projekten der digitalen Transformation mitreden.
Natürlich sind wir keine Experten in punkto Organisations- und Prozessberatung, wir haben auch nicht immer tiefen Einblick in die Strukturen und Mechanismen von großen oder gar internationalen Konzernen und wir sind auch meistens keine Marktanalysten und Trendberater mit einer großen Research-Abteilung im Rücken. Aber was wir gut können und was der Startpunkt vieler Digitalisierungsinitiativen ist, ist eine generalistische (und deshalb umfassende) Analyse der Kommunikation und ihrer Ziele. Die Ergebnisse dieser Betrachtungen bilden dann oft den Einstieg in die Digitalisierungsdiskussion – wohlgemerkt: den Einstieg in die Diskussion. Das Endergebnis, inkl. der notwendigen Organisations- und Prozessänderungen, lässt sich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht absehen. Oder, wie ich es jüngst gegenüber einem Kunden formulieren musste:
Nichts zu ändern, ist die Gewissheit, dass es über kurz oder lang zu Ende geht; Etwas zu ändern, auch ohne Garantie für das Ergebnis, ist besser, als nichts getan zu haben.
Kommunikationsprobleme als Symptome fehlender Digitalisierung
Wie führt denn bei uns üblicherweise der Weg in die Digitalisierungsdiskussion? Ein Kunde oder Interessent möchte wissen, wie er seine Kommunikation optimieren kann. Die gefühlten oder messbaren Defizite können dabei vielfältig sein: zu wenig Berichterstattung in einer ohnehin schrumpfenden Medienlandschaft; gefühlte Unattraktivität als alteingesessenes Unternehmen im Vergleich zu hippen Start-ups; mangelndes Interesse der Digital Natives an behäbig wirkenden Arbeitgebern; gefühlter oder gar messbarer Bedeutungsverlust in angestammten Geschäftsfeldern bis hin zu sinkenden Umsätzen; keine nennenswerten Lead-Erfolge mehr mit langjährig bewährten Marketing-Aktivitäten; erfolglose Versuche, die Sichtbarkeit im Web zu steigern; eine hohe Zahl von Pressemitteilungen steht sinkendem Webtraffic gegenüber; gefühlter Bedarf „jetzt auch endlich irgendwas auf Social Media“ zu tun usw.
Nun ist die erste Hoffnung meistens, dass wir als Kommunikationsberater, einfach unseren Werkzeugkoffer auspacken und versichern, dass mit den richtigen Instrumenten für das jeweilige Wehwehchen das schon alles wieder hinzubekommen sei. Und natürlich würden wir das sehr gerne sagen, denn das bringt uns schönes Geschäft, kurzfristig. Mittel- und langfristig wird unser Kunde aber feststellen, dass er zwar in dem beauftragten Bereich Verbesserungen erzielen konnte; die optimierten Kommunikationsaktivitäten auf die insgesamt negative Gesamtsituation keinen großen Einfluss hatten.
Statt also über die Defizite in einzelnen Kommunikationsbereichen zu reden, ist zu hinterfragen, was eigentlich das Ziel sein soll, das mit einer Optimierung der Kommunikation erreicht werden soll? Und wenn Ansprechpartner dann offen sind und unsere kritischen Fragen ehrlich beantworten, stellt man manchmal fest, dass hinter all den Defiziten in der Kommunikation substanzielle, meistens strukturelle, Probleme des Unternehmens, und nicht seiner Kommunikation, stehen.
Coole Kommunikation rettet nicht das veraltete Geschäftsmodell
Ein Unternehmen kann im Markt trotz „optimierter Kommunikation“ nicht bestehen, wenn sein grundlegendes Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert. Oder um es direkt zu sagen:
„Liebe*r Kommunikationschef*in, euer Problem ist, dass euer Geschäftsmodell durch den digitalen Wandel bedroht wird. Es geht nicht darum, dass das Start-up die coolere Kommunikation hat, sondern es geht darum, dass das Start-up euren bisherigen Markt mit einem digitalen Geschäftsmodell disruptiert und euch dabei ruiniert.“
Entscheidend ist die Frage, wie man als Unternehmen auf diese Erkenntnis reagiert – sitzen überhaupt die richtigen Leute am Tisch, um diese Frage erfolgsversprechend zu diskutieren? Marketingleiter*innen, Pressesprecher*innen, Content-Manager*innen oder Social-Media-Beauftragte alleine helfen da wenig; er/sie kann uns sein/ihr Leid klagen, aber muss Teil einer größeren Debatte werden.
Um diese geschäftsentscheidenden Diskussionen zu führen sind alle Unternehmensbereiche einschließlich des Top-Managements gefragt: Vertrieb, Marketing, Support, Produktentwicklung, Innovationsmanagement, Fertigung usw. Denn es wartet ein Berg von Aufgaben, den ein Kommunikationsberater alleine nur selten zu bewältigen in der Lage ist. Hier braucht es erfahrene Unternehmensberater, um zu ermitteln, wie sich ein Unternehmen digital transformieren kann. Wir als Kommunikationsprofis können diesen Change-Prozess intern und extern kommunikativ begleiten – mit dem Ziel, am Ende des Weges erfolgreiche, strategische (digitale) Kommunikation für ein neues, oder angepasstes Geschäftsmodell zu machen; sei es mit klassischer PR zu unterstützen, eine Social-Media-Strategie zu entwickeln oder vertriebsnahes Storytelling mit Inbound Marketing zu betreiben.
Social Media helfen Digitalisierung zu verstehen
Ach ja, und es bleibt die Frage, warum nun ausgerechnet Erfahrung in Social Media beim Verständnis der digitalen Transformation helfen soll? Nun, ich bin der Meinung, dass Social Media und soziale Netzwerke, die Vorboten der digitalen Transformation sind, denn in der Kommunikation bedeuten sie alles, was das Enterprise 2.0 ausmacht:
- Kommunikation ohne Grenzen in Echtzeit und zwar aller internen und externen Stakeholder, also auch Kunden, Influencer (Multiplikatoren, Journalisten usw.), Partner, Lieferanten und Wettbewerber
- Jederzeitige Transparenz über alle Hierarchien hinweg (also intern und extern über Mitarbeiter, Kunden, Partner, Wettbewerber usw.)
- Alles ist teilbar und wird geteilt (zwischen allen).
- Maximale Vernetzung und Zugang jederzeit und von überall.
Wer durch die Nutzung von Facebook, Twitter, Instagram, Tiktok, WhatsApp, Snapchat oder was auch immer verstanden hat, wie diese Faktoren zusammenwirken können, wird sich über den schnellen Wandel von Märkten und Geschäftsmodellen nicht mehr wundern.
Dazu kommen dann noch technologische Entwicklungen, die die Märkte und unseren Alltag schneller denn je durchdringen: Das Internet der Dinge wird bestimmend, die Digitalisierung damit allumfassend; Algorithmen, Bots, Machine Learning und Künstliche Intelligenz erobern alltägliche Anwendungen und werden schleichend zur Gewohnheit, im Privaten wie im Beruflichen. Damit werden die Chancen digitaler Geschäftsmodelle und Prozesse naturgemäß noch besser, und damit verdrängen sie noch schneller schwerfällige alte, aber auch schon wieder die ersten jungen Platzhirsche, aus ihren Märkten.
Ich bin demzufolge mehr denn je überzeugt davon, dass das Fazit für Unternehmer und Mitarbeiter lauten muss: digitalisier dich oder geh sterben.
Digitalisierung gilt für alle
Im Übrigen gilt diese Perspektive nicht nur für kommerzielle Unternehmen. Die Analyse gilt auch für Gesellschaft und Politik. Als Beispiele seien der Umgang der CDU mit dem Rezo-Video und die Transparenz, mit der die Diversität innerhalb der Parteien (von ganz links bis ganz rechts) sichtbar wird, genannt. Fake News, rechter Aktivismus im Netz, NGO Support via Social Networks, wie z.B. FridaysforFuture, entwickeln ihre eigene Dynamik, die ohne die oben beschriebenen Plattformen und Technologien nicht denkbar sind. Hierauf mit Strategien aus dem letzten Jahrhundert zu reagieren führt unweigerlich in den Abgrund.
Die digitale Transformation von Leben und Arbeiten ist unaufhaltsam; wir erleben gerade erst den Anfang und wir sollten sie gestalten, statt sie über uns hereinbrechen zu lassen.
Bilder
- Headerbild: Photo by Karsten Würth (@karsten.wuerth) on Unsplash
- Windrad, Patras, Griechenland: Photo by Jason Blackeye on Unsplash
- Windrad mit Wolke: Photo by Koushik Chowdavarapu on Unsplash
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