Branchenblick Automotive: Social Media bei Automobilzulieferern
Ab und an will ich hier in der DampfLog einen Blick auf Branchen und den Reifegrad der Social-Media-Aktivitäten in diesen Branchen werfen: wer nutzt soziale Medien? Wozu? Wo liegen ungenutzte Potentiale? Kann man von diesen Branchen etwas lernen? Und was können diese Branchen lernen?
Den Anfang machen will ich heute mit einem Ausschnitt aus dem Automotive-Markt. Hierzu habe ich mir einige Zulieferunternehmen der Automobilhersteller einmal näher angesehen. Es geht also nicht um BMW, Mercedes und Volkswagen, sondern um Unternehmen wie Continental, Bosch und ZF.
Konkret betrachte ich im Folgenden die derzeit zehn umsatzstärksten Automobilzulieferer:
Die Rahmenbedingungen: der Markt der Autozulieferer
Der gesamte Automotive-Markt – egal ob Hersteller oder Zulieferer – ist grundsätzlich ein Verdrängungsmarkt. Für die Zulieferer ist es außerdem ein globaler B2B-Markt: die Anzahl der Kunden ist übersichtlich: so viele Automobilhersteller gibt es ja nicht mehr. Dies hat natürlich Auswirkungen auf die Wahl geeigneter Social-Media-Kanäle. Denn zum Social Media Marketing gehört ja nicht nur Facebook, sondern auch LinkedIn und XING.
Allerdings ist der Markt derzeit ungewohnt „volatil“. Die etablierten Platzhirsche von Audi bis VW werden zunehmend von neuen Marken bedrängt. Ehemalige unbekannte Lieferanten werden im Zeitalter der E-Mobilität als Batteriehersteller plötzlich zu relevanten Endkundenmarken, Hersteller wie Tesla und womöglich Google werden zu Auto-Herstellern.
Dies birgt neue Chancen für Zulieferer, aber auch die Notwendigkeit, sich zu Consumer-Marken zu entwickeln. So wie „intel inside“ wird ein „ZF Inside“ für die wunderbaren Automatikgetriebe vom Bodensee und ein „Bosch Inside“ für moderne Batterietechnik immer wichtiger für die Marktakzeptanz eines Mercedes oder Mini.
Ein weiterer für die Automobilhersteller und die Zulieferer wichtiger Trend ist der Shift vom Auto-Kult, zum Mobilitäts-Kult – man will zwar mobil sein, nicht aber unbedingt mit dem eigenen Auto – bzw. vom Car Ownership zum Car Sharing. Wenn das Auto nicht mehr der Gott in der Garage ist, dann wird es auch weniger attraktiv in dieser Branche zu arbeiten. Das Recruiting qualifizierter Mitarbeiter wird immer schwieriger.
Das alles sind Gründe, warum auch Lieferanten der Automotive-Branche verstärkt auf soziale Medien setzen müssen:
- für Recruiting und Employer Branding
- und für eine starke Marke, die zwar im B2B verkauft, aber im B2C ihre Marke etabliert.
Mit dieser Anforderung an eine neue, auf Storytelling basierende Unternehmenskommunikation, gehen die Automotive-Lieferanten bislang sehr unterschiedlich um. Sie alle befinden sich derzeit in einem Lernprozess. Sie alle stehen derzeit mächtig unter Druck.
Die Websites: häufig hübsches Blinden-Fernsehen
Im Folgenden konzentriere ich mich auf die Online- und Social-Media-Aktivitäten der Unternehmen und ihren Auswirkungen auf den deutschen Markt. Schließlich ist Deutschland mit potentiellen Kunden wie Volkswagen, BMW und Mercedes einer der wichtigsten globalen Märkte in dieser Branche.
Ein Blick auf die Internet-Auftritte der zehn größten Automobilzulieferer bezeugt die noch immer dominante Fokussierung auf die zehn oder 20 relevanten B2B-Kunden. Weil für die braucht man kein Internet!
Die Webauftritte sind zumeist wunderschön gemacht – man hat ja was zu zeigen, wenn man Innenraumgestaltung für große Automarken oder tolle Abgastechnologien entwickelt. An Bildern fehlt es nicht. Nur am „richtigen“ Publikum fehlt es manchmal. Die Sichtbarkeit der Seiten sind für den deutschen Markt und speziell für jene, die nach Themen und Technologien der Hersteller suchen, recht gering.
Das Sichtbare sichtbar machen ist eine Kunst
Der Sistrix Index für Deutschland ist eine Messzahl für die Sichtbarkeit der Websites der Unternehmen. Die Werte sind sämtlich unbefriedigend. Am besten schneidet noch Michelin ab, ein Unternehmen, das stark von der Marke „Michelin Guide“ profitiert, die auf die Dachmarke einzahlt. Als Liebhaber des Michelin Guide und der guten Küche habe ich es aber mit anderen Reifen zu tun, als denen von Michelin. Michelin, Continental und Bosch auf dem Sieger-Treppchen profitieren natürlich davon, dass sie als Batterie- und Reifen-Hersteller zugleich B2C-Marken sind.
Dass die Sichtbarkeiten der anderen Unternehmen so schlecht sind, liegt zum Teil an schwachen Strategien zur Suchmaschinenoptimierung, zum Teil auch an einem schwachen Auftritt in sozialen Medien:
Defizite im Keywording sind Defizite im SEO sind Defizite im Storytelling
Die im Vergleich starke Position von Michelin verdankt sich nicht ausschließlich dem Guide Michelin. Vielmehr gelingt es Michelin auch durch eine geschickte Online-Redaktion und SEO-Maßnahmen wichtige Suchbegriffe zu besetzen. Vorbildlich sind in dieser Kategorie aber Unternehmen, die nicht zu den Top Ten gehören: so platziert ZF Friedrichshafen mit seiner Website Keywords wie „Fahrwerktechnik“, „Achsgetriebe“ und „ppm Berechnung“, der Standheizungsspezialist Eberspächer wichtige Begriffe rund um „Heizung“: „Luftheizung“, „Wasserheizung“, „Fahrzeug Heizung“.
Allen anderen Unternehmen kann man nur raten, für sich ein Set an relevanten Keywords zu definieren und rund um diese Leitbegriffe ein intelligentes und suchmaschinenoptimiertes Storytelling zu etablieren. Hier zeigt sich überdeutlich, dass die Branche der Automobilzulieferer gegenüber klassischen Markenartiklern noch einen enormen Nachholbedarf hat.
Man kennt Ampeln, aber keine Social Signals
Die unzureichende Sichtbarkeit der Marken im Internet verdankt sich aber auch der weitgehenden Ignoranz der sozialen Medien. Es fehlen den meisten Unternehmen starke Signale aus diesen Plattformen:
Gemessen wurden die Social Signals auf die deutschen Websites wieder mit Sistrix. Social Media Signals kommen ja nicht in erster Linie direkt aus eigenen Auftritten in Facebook, Twitter oder Google+, sondern aus Beiträgen Anderer auf ihren Facebook-, Twitter- oder Google+-Auftritten. Den Unternehmen mangelt es also an Vernetzung. Selbst Unternehmen, die stolz auf einen YouTube-Kanal oder eine Facebook Page verweisen, bieten nur selten Share-Buttons auf ihren Websites an.
Social Media Marketing bei den führenden Automobilzulieferern in Deutschland
Werfen wir nun einen Blick auf die Social-Media-Aktivitäten der Unternehmen.
Die Facebook-Nutzung in der Automotive-Branche
Facebook nutzen fast alle führenden Automobilzulieferer. Allerdings verzichten die meisten auf deutschsprachige Auftritte. Facebook ist offenbar für viele Unternehmen noch immer ein amerikanisches Phänomen. Dies gilt sogar für deutsche Konzerne wie Continental und Bosch. Weder wird so das Potential von Facebook für das Recruiting noch zum Employee Branding genutzt:
Die „Engagement-Rate“ wurde hier mit dem Tool Fanpage Karma gemessen. „Er berechnet sich aus der durchschnittlichen Anzahl an Likes, Kommentaren und Shares pro Tag, geteilt durch die Anzahl an Fans“.
Twitter: Follower-Sammlungen ohne Perspektive
Auch Twitter wird, abgesehen von Bosch und Faurecia, bislang ausschließlich englischsprachig genutzt. Die Accounts von Bosch, aber auch von Michelin und Johnson Controls weisen durchaus relevante Follower-Zahlen aus:
Sieht man sich aber die qualitative Struktur der Follower einmal genauer an, so muss man feststellen, dass abgesehen von Bosch kein einziges Unternehmen über eine nennenswerte Anzahl wertvoller deutschsprachiger Meinungsführer unter seinen Followern vorweisen kann. Ein gezielter qualitätsorientierter Aufbau einer Twitter Community findet nicht statt.
Das Kriterium „Q Follower“ für Qualitätsfollower soll nicht andere Follower herabsetzen. Doch die Definition einer einheitlich definierten Liste von Qualitäts-Kriterien gelingt jedoch ein tieferer Einblick in Twitter Accounts. Zu den Q-Kriterien gehören zum Beispiel für eine Analyse des deutschen Marktes Deutschsprachigkeit, mehr als 500 Follower, eine positive Follower-Following-Ratio und mehr als 2 Tweets pro Tag. Zum Vergleich: nach diesen Kriterien liegt die Anzahl der „Q-Follower“ unter meinen eigenen knapp 3.000 Followern bei 254. Da sind dann wirklich einige relevante Medien, Unternehmen und bekanntere Twitterati darunter. Diese Zahl sollten alle hier genannten Unternehmen toppen können. Das jedenfalls wäre meine Zielvorgabe.
Kurz: Twitter wird von den Unternehmen nur opportunistisch und an der Relevanz für die Unternehmenskommunikation in Deutschland vorbei betrieben.
Das Aschenbrödel Google+ spielt in Deutschland keine Rolle
Immerhin fünf Unternehmen sind auch auf Google+ aktiv. Faurecia hat sich nur eine Adresse gesichert, bespielt diesen Kanal aber nicht. Und nach der Entscheidung von Google den Author Rank zurückzunehmen, ist das wohl auch der beste Ansatz. Man kann deutschen B2B-Unternehmen heute nicht mehr empfehlen allzu viele Ressourcen in dieses Medium zu investieren – jedenfalls solange man sich nicht in den engeren Zirkeln von Marketing- und IT-Verantwortlichen bewegt. Ich bedauere das, denn der Google Author Rank war ein guter Ansatz die Suchalgorithmen qualitativ wertvoller zu machen. Und der Google Author Rank war in den letzten Monaten immer mein Argument, meinen Kunden eine starke Präsenz in Google+ aufzubauen.
YouTube: Die Cannes-Rolle der Branche
YouTube-Filmchen gibt es reichlich in der Branche. Und auch die Akzeptanz ist gut:
Wenn es an Abonnenten manchmal fehlt, so liegt dies daran, dass die Unternehmen noch keine Community um sich herum aufbauen konnten. Auch fehlt häufig noch das Embedding der zum großen Teil professionell aufbereiteten Videos in den eigenen Websites. Dort fehlt oft ein Newsfeed oder besser noch ein Blog, in dem man dieses Material wunderbar bespielen könnte.
XING und LinkedIn
LinkedIn ist als auch in Deutschland relevantes professionelles Netzwerk noch immer nicht angekommen. Das überrascht und enttäuscht, schließlich ist LinkedIn schon heute in fast allen großen deutschen Konzernen weiter verbreitet, als das deutsche Pendant XING (siehe hierzu Folie 15 meines Vortrags zu LinkedIn und XING für Fraunhofer).
Nur Bosch ist mit einem relevanten deutschsprachigem Angebot in LinkedIn vertreten. Warum realisieren die Unternehmen keine mehrsprachigen LinkedIn-Firmenprofile? Der Aufwand hierfür wäre so gering, der Nutzen so evident. Auch die vielen Vorteile, die LinkedIn für die Vernetzung der sozialen Kanäle bietet, werden kaum genutzt.
Zusammenfassung und Einschätzung
Die führenden Unternehmen unter den Automobilzulieferern …
- wissen, dass es Social Media gibt
- nutzen Social Media in den USA intensiver als in Deutschland
- verfolgen nur selten eine klare Social Media Strategie
- und schöpfen deshalb die Potentiale der sozialen Medien für den wichtiger werdenden Markenaufbau und das schwieriger werden Recruiting nicht voll aus.
Die Vernetzung der Social-Media-Kanäle funktioniert nur selten. auch ihre Integration in die eigene Website – die immer die zentrale Plattform der Unternehmenskommunikation sein muss – ist ausbaufähig. Eine Storytelling-Strategie, die zentrale Markenbotschaften über ein Multi Channel Publishing kanalspezifisch kommuniziert, ist häufig nur in Ansätzen erkennbar.
Ich fürchte ein wenig, dass in einigen dieser Unternehmen in den deutschen Niederlassungen richtig gute Social Media Manager sitzen, die heftig und nachhaltig unter den engen Vorgaben ihrer internationalen Konzernspitzen leiden. Dies entspräche jedenfalls meiner Erfahrung in einigen anderen Branchen ;-).
Die kleine Studie fand eine Fortsetzung sechs Jahre später: Im Herbst 2020 erschien der Branchenblick Automotive: Social Media bei Automobilzulieferern 2020.
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